YouTube durfte Video nicht löschen

Kammergericht Berlin

Beschluss v. 22.03.2019 - Az.: 10 W 172/18

Leitsatz

YouTube durfte Video nicht löschen

Tenor

(...) hat der 10. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin am 22.03.2019 durch die Richterin am Kammergericht (...) als Einzelrichterin beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 3.07.2018 – 44 O 130/18 – geändert:

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung – der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung – bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, verboten,

a) das auf ihrem bei der Antragsgegnerin betriebenen Kanal veröffentlichte Video “F... Täter “Flüchtling” aus Eritrea! – A... -F... im Bundestag” (...) aus dem You Tube-Kanal der Antragstellerin zu löschen

und/oder

b) die Nutzbarkeit/Funktionalität des You Tube-Kanals der Antragstellerin wegen der Veröffentlichung des Videos “F... Täter “Flüchtling” aus Eritrea! – A... -F... im Bundestag” (Wortlaut wie unter lit. a) wiedergegeben), insbesondere die Option des Livestreamings, einzuschränken und/oder die Antragstellerin wegen der Veröffentlichung des genannten Videos von der Nutzung dieses Y... T... -K... auszuschließen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich derer des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

2. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I. 

Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung durch die der Antragsgegnerin untersagt werden soll, das Video “F... Täter “Flüchtling” aus Eritrea! – A... -F... im Bundestag” mit den im Tenor zu Ziffer 1. enthaltenen Äußerungen auf You Tube zu löschen und sie wegen dessen (erneuter) Veröffentlichung von der Nutzung des You Tube-Kanals auszuschließen bzw. die Nutzung einzuschränken.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 3.07.2018 den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Es ist der Ansicht, dass es an einem Verfügungsgrund fehle. Hinsichtlich der Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen.

Gegen den ihr am 5.07.2018 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 16.07.2018 sofortige Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet. Wegen der vorgetragenen Argumente wird auf den Schriftsatz vom 16.07.2018 sowie die weiteren Schriftsätze vom 20.07., 30.08.,19.10.2018 sowie vom 11.02. und 26.02.2019 nebst Anlagen Bezug genommen. Für den Vortrag der am Verfahren beteiligten Antragsgegnerin wird auf die Schriftsätze vom 21.09., 26.10.2018 und 21.02.2019 nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt.

II.

Die nach 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und zulässig eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg.

a. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich aus § 32 ZPO. Nach § 32 ZPO ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist. Eine unerlaubte Handlung ist im Sinne von § 32 ZPO sowohl am Handlungsort als auch am Erfolgsort begangen, so dass eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo die Verletzungshandlung begangen oder in das Rechtsgut eingegriffen worden ist. Zur Begründung der Zuständigkeit reicht die schlüssige Behauptung von Tatsachen aus, auf deren Grundlage sich eine im Gerichtsbezirk begangene unerlaubte Handlung ergibt. § 32 ZPO erfasst auch Unterlassungsansprüche (vgl. BGH, Urt. v. 21.04.2016 – I ZR 43/14; Urt. v. 2.03.2010 - VI ZR 23/09, BGHZ 184, 313 Rn. 7 f.; Urt. v. 29.03.2011 - VI ZR 111/10, GRUR 2011, 558 Rn. 6 f.; BGH, GRUR 2014, 559 Rn. 11 - Tarzan, m.w.N.). Danach ist für den verfolgten Unterlassungsanspruch die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründet. Die Antragstellerin nimmt die - in Kalifornien ansässige – Antragsgegnerin auf Unterlassung der Löschung eines deutschsprachigen Videos in Anspruch, das in Deutschland über den Kanal der Antragsgegnerin öffentlich zugänglich ist.

b. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist der Unterlassungsanspruch auch hinreichend bestimmt formuliert. Dies gilt jedenfalls unter Berücksichtigung der mit Schriftsatz vom 26.02.2019 vorgenommenen Konkretisierung. Die Bestimmtheit des Antrags soll den Streitgegenstand und damit den Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts festlegen (vgl. BGH GRUR 2011, 539) und zwar so, dass der Unterlassungsbeklagte erkennen kann, wogegen er sich verteidigen soll (vgl. BGHZ 189, 56, 60 f.), und dass der dem Antrag folgende Tenor die Grenzen der Rechtskraft und die Vollstreckungsmöglichkeiten klar erkennen lässt (BGH GRUR 2014, 398). Die auf Unterlassung der konkreten Verletzungsform gerichteten Anträge sind regelmäßig ausreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Bestimmtheit eines Unterlassungsanspruchs begegnet danach in der Regel keinen Bedenken, wenn der Antragsteller lediglich das Verbot einer Handlung begehrt, so wie sie begangen worden ist (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1343, 1346). Die Antragstellerin hat das Video, dessen (erneute) Löschung Gegenstand des Untersagungsantrags ist, konkret bezeichnet. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin dieses Video wegen des beanstandeten Inhalts bereits gelöscht hat, und daher Kenntnis des konkreten Beitrags haben muss, liegt jedenfalls mit der von der Antragstellerin als Anlage JS11 eingereichten DVD eine ausreichende Bestimmtheit vor. Dem steht auch nicht entgegen, dass die nunmehr vorgenommene Konkretisierung von der Verschriftlichung des Inhalts im Schriftsatz vom 26.10.2018 (S. 17) abweicht, weil diese die Passage “A... W..., die Vorsitzende der A... -F... im Bundestag fordert die B... auf, sie solle die Verantwortung für die Messer-Einwanderung übernehmen.” nicht enthält. Gegenstand des Antrages sind nämlich keine einzelnen Äußerungen, sondern das vollständige Video.

c. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist begründet; es bestehen ein Verfügungsgrund (aa.) und ein Verfügungsanspruch (bb.).

aa. Ein Verfügungsgrund im Sinne von §§ 935, 940 ZPO, der eine vorläufige Sicherung oder Regelung im Eilverfahren zu rechtfertigen vermag, besteht anerkanntermaßen nur im Falle der Dringlichkeit. Eine solche Dringlichkeit oder Eilbedürftigkeit liegt vor, wenn eine objektive Besorgnis besteht, dass durch bevorstehende Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder wenn bei dauernden Rechtsverhältnissen die Regelung eines einstweiligen Zustands zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl., § 935 Rn. 10). Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes ist unter Abwägung der einander im Einzelfall gegenüberstehenden Parteiinteressen zu prüfen. Gegen das Interesse des Antragstellers an der alsbaldigen Untersagung ist das Interesse des Antragsgegners abzuwägen, nicht aufgrund eines bloß summarischen Verfahrens mit einem Verbot belegt zu werden (vgl. OLG Düsseldorf, Schlussurt. v. 25.08.2015 – 20 U 196/14, BeckRS 2015, 16904). Die Eilbedürftigkeit (Dringlichkeit) wird im Äußerungsrecht regelmäßig daraus abgeleitet, dass mit einer jederzeitigen Wiederholung der beanstandeten Äußerung zu rechnen ist (vgl. Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 12 Rn 144 f.). In der Praxis des Presse- und Äußerungsrechts wird ein Verfügungsgrund, wenn keine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit, insbesondere durch Zuwarten gegeben ist, regelmäßig ohne weiteres bejaht (vgl. Prinz/Peters, Medienrecht, Rn. 325; Korte, Praxis des Presserechts, § 5 Rn. 108 m.w.N.; OLG Hamburg NJW-RR 2008, 1435).

Ungeachtet des Umstandes, dass sich die Verhältnisse hier umgekehrt haben, weil die Antragstellerin nicht mit einem Unterlassungsbegehren auf eine öffentliche Äußerung reagiert, sondern sich gegen die Beschränkung ihrer Veröffentlichungsmöglichkeit wendet, ist die Dringlichkeit zu bejahen und ein dringlichkeitsschädliches Zuwarten zu verneinen.

Das vorprozessuale Verhalten der Antragsgegnerin und ihr Vortrag in diesem Verfahren legt die Vermutung nahe, dass auch künftig mit entsprechenden Reaktionen auf dieses Video bzw. ähnliche Videos der Antragstellerin, die sich mit kriminellen Handlungen Geflüchteter unter Verwendung von der Partei aufgebrachter Begriffe und Schlagworte befassen, zu rechnen ist. Daher besteht das Risiko der Antragstellerin, dass bei erneuter Einstellung des streitgegenständlichen Videos dieses erneut gelöscht und die Antragstellerin von der Nutzung des You Tube -Kanal oder einzelner Funktionen ausgeschlossen wird. Über eine vorläufige Sicherung oder Regelung ist im Eilverfahren zu entscheiden, da der Antragstellerin nicht zuzumuten ist, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten.

Von einem Fall der Selbstwiderlegung der Dringlichkeit kann nicht ausgegangen werden, denn die Antragstellerin hat mit dem am 2.07.2018 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 29.06.2018 die begehrte Unterlassung beantragt. Damit reagierte sie auf den Umstand, dass ihre bei der Antragsgegnerin eingereichte Beschwerde gegen die Löschung des im Juni 2018 eingestellten Videos am 14.06.2018 zurückgewiesen worden war und die Funktion des Livestreams bis 12.09.2018 blockiert war.

Soweit die Antragsgegnerin meint, die Antragstellerin habe die Dringlichkeit selbst widerlegt, weil sie während des Beschwerdeverfahrens nicht auf dessen Fortgang gedrängt habe, verkennt die Antragsgegnerin, dass Verzögerungen im Bereich des gerichtlichen Verfahrens grundsätzlich nicht zum Nachteil der Antragstellerin gereichen. Im Übrigen hat sich das Beschwerdeverfahren nach der Klärung der geschäftsplanmäßigen Zuständigkeit des Senats durch die Entscheidung des Präsidiums vom 21.08.2018 und der anschließenden Beteiligung der Antragsgegnerin aufgrund der Auswertung der erheblichen Anzahl der gewechselten Schriftsätze verzögert, ohne dass darin eine dringlichkeitsschädliche Selbstwiderlegung zu sehen ist.

Die Wiederholungsgefahr ergibt sich bereits aus dem Beharren der Antragsgegnerin auf der Rechtmäßigkeit der von ihr ergriffenen Maßnahmen.

bb. Der Verfügungsanspruch der Antragstellerin folgt aus §§ 241 Abs. 2 i.V.m. 1004 BGB. Die Löschung des Videos und die darauf gestützte Einschränkung der Nutzung des Livestreamings sind eine Pflichtverletzung hinsichtlich der vertraglich eingeräumten Nutzungsmöglichkeiten dar, für die es an der erforderlichen Grundlage fehlt.

Dass zwischen den Parteien ein Vertragsverhältnis besteht, welches durch die von der Antragsgegnerin verwendeten allgemeinen Geschäftsbedingungen (Nutzungsbedingungen, und Community-Richtlinien) geregelt wird, ist ebenso unstreitig, wie die Löschung des Videos “F... Täter “Flüchtling” aus Eritrea! – A... -F... im Bundestag” und der Ausschluss der Antragstellerin von der Funktion des Lifestreaming bis 12.09.2018. Ebenfalls unstreitig ist, dass die Antragsgegnerin die Löschung bzw. Sperrung wegen eines Verstoßes gegen die Richtlinien zu hasserfüllten Inhalten (vgl. Anlage EVA 7) vorgenommen hat.

Ob die Richtlinien der Antragsgegnerin wirksam sind, oder aber die Nutzer entgegen der Gebote von Treu und Glauben benachteiligen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB), muss im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht abschließend geklärt werden. Die Antragsgegnerin, die nach eigener Darstellung eine Video-Hosting- und Kommunikationsplattform betreibt, auf der Nutzern die Möglichkeit geboten wird, eigene Videoinhalte zum Abruf für Dritte einzustellen, und auf der mehrere 100 Millionen Videos eingestellt sind, hat bei der Anwendung ihrer Richtlinien in jedem Fall die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, insbesondere des Grundrechts der Nutzer auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), zu berücksichtigen. Es muss deshalb gewährleistet sein, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt werden darf (vgl. OLG München, Beschl. v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115 unter Verweis auf LG Frankfurt a.?M., MMR 2018, 545 m.w.N. zu Facebook).

Den Grundrechten kommt nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG insoweit eine mittelbare Drittwirkung zu, als das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt zugleich Elemente objektiver Ordnung aufgerichtet hat, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung haben, mithin auch das Privatrecht beeinflussen (BVerfGE 73, 261; BVerfGE 7, 198; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl., Art. 1 Rn. 54 m.w.N). In dieser Funktion zielen die Grundrechte nicht auf eine möglichst konsequente Minimierung von freiheitsbeschränkenden Eingriffen, sondern sind im Ausgleich gleichberechtigter Freiheit zu entfalten. Hierbei sind kollidierende Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so zum Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, NJW 2018, 1667 Rn. 32 m.w.N.).

Der Rechtsgehalt der Grundrechte als objektive Normen entfaltet sich im Privatrecht durch das Medium der dieses Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften, insbesondere der Generalklauseln und sonstigen auslegungsfähigen und -bedürftigen Begriffe, die im Sinne dieses Rechtsgehalts ausgelegt werden müssen (BVerfGE 73, 261). Im vorliegenden Fall ist die Vorschrift des § 241 Abs. 2 BGB die konkretisierungsbedürftige Generalklausel, bei deren Auslegung dem von der Antragstellerin geltend gemachten Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) Rechnung zu tragen ist. Mit dem gebotenen Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz wäre es unvereinbar, wenn die Antragsgegnerin gestützt auf ein “virtuelles Hausrecht” (vgl. LG Bonn, NJW 2000, 961) auf der von ihr bereitgestellten Social-Media-Plattform den Beitrag eines Nutzers, in dem sie einen Verstoß gegen ihre Richtlinien erblickt, auch dann löschen dürfte, wenn der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung nicht überschreitet.

Den von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 21.09.2018 eingereichten Community-Richtlinien ist zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin keine Inhalte unterstützt, die Gewalt gegen Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund von Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion, Behinderung, Geschlecht, Alter, Nationalität, Veteranenstatus oder sexueller Orientierung bzw. Geschlechtsidentität billigen oder aktiv befürworten, bzw. deren primärer Zweck darin besteht, Hass aufgrund dieser Eigenschaften zu schüren. Danach behält sie sich vor, die entsprechenden Merkmale für jedes Video individuell zu prüfen und Inhalte, die hauptsächlich darauf abzielen, eine geschützte Gruppe anzugreifen, als Verstoß zu betrachten (“Hasserfüllte Inhalte”). Dieser weitreichenden Befugnis ist es immanent, dass hinsichtlich der Einordnung eines Inhalts als “Hasserfüllter Inhalt” nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Antragsgegnerin bzw. der für diese handelnden Personen abgestellt werden kann, sondern dass es objektivierbarer Kriterien bedarf (vgl. OLG München, Beschl. v. 24.08.2018 – 18 W 1294/18, NJW 2018, 3115, 3117).

Auf eine Verletzung ihrer Community-Richtlinien kann die Antragsgegnerin die Löschung des streitgegenständlichen Videos und die Einschränkung der Lifestreamingfunktion schon deshalb nicht stützen, weil dieses evident keinen “Hasserfüllten Inhalt” nach der Definition der Antragsgegnerin enthält. Es bedarf daher an dieser Stelle auch keiner Prüfung, ob die Community-Richtlinien als solche einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhalten würden.

(1) Die Interpretation einer Äußerung setzt die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums voraus. Bei der Erfassung des Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst und einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (BGH, NJW-RR 2017, 98). Fernliegende Deutungen sind auszuscheiden. Ist der Sinn einer Äußerung unter Zugrundelegung des vorstehend erörterten Maßstabs eindeutig, ist er der weiteren Prüfung zugrunde zu legen. Zeigt sich dagegen, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als mehrdeutig wahrnimmt oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist von einem mehrdeutigen Inhalt auszugehen (BVerfGE 114, 339).

(2) Unter Zugrundelegung der vorstehenden Grundsätze ist dem Beitrag nicht zu entnehmen, dass dieser hauptsächlich darauf abzielt, eine geschützte Gruppe anzugreifen. In dem Beitrag kritisiert die Vorsitzende der Antragstellerin anlässlich einer in F... begangenen Straftat eines Geflüchteten mit scharfen Worten die Entscheidung der Bundeskanzlerin aus dem Jahr 2015, eine erhebliche Anzahl Geflüchteter nach Deutschland einreisen zu lassen und fordert diese zur Übernahme der politischen Verantwortung auf. “Messer-Einwanderung”, ist erkennbar von dem Begriff der Masseneinwanderung abgeleitet und wird in den Medien (www.neuemedienmacher.de, Glossar) als “propagandistischer Begriff bezeichnet, den die A... -B... 2018 aufgebracht hat und der von einigen Boulevard-Medien (“Messer-Angst!”) aufgenommen wurde”. Der Gebrauch dieses Wortes mag einseitig und polemisch die Auffassung der Antragstellerin illustrieren, wonach Geflüchtete Gewalttaten unter Einsatz von Messern begehen. Die öffentlichkeitswirksame Verwendung dieses Begriffs allein rechtfertigt jedoch noch nicht die Annahme, dass mit dem Beitrag Hass gegen Personen aufgrund ihrer Herkunft geschürt werde und der Beitrag daher als ein solcher mit hasserfülltem Inhalt zu qualifizieren sei. Die Antragstellerin ist die Fraktion von Bundestagsabgeordneten, die sich aufgrund eines aktuellen Ereignisses aus der Opposition heraus mit der Politik der Bundesregierung auseinander setzt. Eben dies kommt für den unvoreingenommenen Betrachter auch in dem verfahrensgegenständlichen Beitrag zum Ausdruck, in dem ausgehend von dem aktuellen Vorfall in F..., der erkennbar als Aufhänger fungiert, kurz dazu übergeleitet wird, dass Bahnhöfe zu unsicheren Orten (“Angsträumen”) werden, und der Kernaussage des Videos nach deutliche Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung angebracht wird.

Danach kommt mangels Vorliegen eines Verstoßes gegen die Community-Richtlinien auch keine darauf gestützte Sanktion in Form der zeitlichen Einschränkung der Möglichkeit zur Nutzung der Funktion des Livestreaming in Betracht.

Das streitgegenständliche Video hat auch keinen rechtswidrigen Inhalt im Sinne von § 1 Abs. 3 NetzDG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der in dieser Vorschrift genannten Strafnormen sind ganz offensichtlich nicht erfüllt. Soweit die Antragsgegnerin meint, (eine oder mehrere) Äußerungen in dem Beitrag stellten sich als Verstoß gegen § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar, teilt der Senat diese Auffassung nicht. Als Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist das Diffamieren von Bevölkerungsgruppen sowohl durch Tatsachenbehauptungen wie auch durch Werturteil erfasst. Erforderlich ist zusätzlich ein Angriff auf die Menschenwürde. Zur Erfüllung des Tatbestands ist es deshalb grundsätzlich erforderlich, dass der Angriff gegen den Persönlichkeitskern des Opfers, gegen dessen Menschsein als solches gerichtet ist. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Personengruppen als “Untermenschen” oder “minderwertige Menschen” bezeichnet oder mit Tieren oder Sachen auf eine Stufe gestellt werden. Ein derartiger Angriff ist allein wegen des Begriffs “Messereinwanderung” nicht festzustellen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die zugrundeliegende Streitwertfestsetzung auf § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.

Eine ausdrückliche Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ist entbehrlich. Einstweilige Verfügungen sind Vollstreckungstitel, die mit Erlass des Beschlusses sofort vollstreckbar sind, ohne dass es einer Entscheidung hierüber bedarf (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 929 Rn. 1 m.w.N.).