Voraussetzungen zur Sperrung eines Twitter-Feeds
Leitsatz
Voraussetzungen zur Sperrung eines Twitter-Feeds
Tenor
In dem Rechtsstreit (...)
wegen Unterlassung
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch (...) ohne mündliche Verhandlung am 07.04.2020 beschlossen:
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Beklagte hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
Entscheidungsgründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen.
Die zulässige Berufung der Beklagten bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil die am 21.6.2019 erlassene einstweilige Verfügung zu Recht aufrechterhalten. Die hiergegen mit der Berufung vorgebrachten Einwände, greifen nicht durch. Die Vollziehungsfrist gemäß §§ 929 Abs. 2, 935 ff. ZPO ist gewahrt (1.). Der Kläger hat überdies auch einen Verfügungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht (2.).
1.
Der fehlende Vollzug der einstweiligen Verfügung kann grundsätzlich im Berufungsverfahren geltend gemacht werden. Auch wenn es sich bei dem Einwand, die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO sei versäumt, um einen solchen handelt, der grundsätzlich im Wege eines Antrages nach §§ 936, 927 Abs. 1 ZPO geltend zu machen ist, weil damit die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der einstweiligen Verfügung, nicht aber die Rechtmäßigkeit ihrer Anordnung in Frage gestellt wird, ist allgemein anerkannt, dass dieser Einwand auch mit der Berufung als dem weitergehenden Rechtsbehelf geltend gemacht werden kann (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 27. Mai 2013 - 1 U 23/12 -, Rn. 26, juris; Zöller-Vollkommer, aaO. § 927 Rn 21 m.w.N.).
Gemäß § 936 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO muss eine einstweilige Verfügung innerhalb eines Monats vollzogen werden, wobei die Vollziehungsfrist mit der Zustellung von Amts wegen an den Gläubiger beginnt. Vorliegend ist die einstweilige Verfügung vom 21.6.2019 dem Verfügungskläger am 26.6.2019 zugestellt worden. Anders als die Verfügungsbeklagte meint, hat der Kläger innerhalb der ab diesem Zeitpunkt laufenden Frist die einstweilige Verfügung vollzogen.
Bei einer Unterlassungsverfügung besteht die Besonderheit, dass deren Vollziehung, also ihre nicht auf Befriedigung, sondern nur auf Sicherung des Gläubigers gerichtete Vollstreckung, an sich überhaupt nicht oder zumindest so lange unmöglich ist, als der Schuldner ihr nicht zuwiderhandelt. Auch für eine ein Verbot oder Gebot aussprechende einstweilige Verfügung gilt gleichwohl der sich aus § 929 Abs. 2 ZPO ergebende Grundsatz, dass sich ein Gläubiger, der in einem nur vorläufigen Eilverfahren einen Titel erwirkt hat, rasch entscheiden muss, ob er von diesem Titel Gebrauch machen will oder nicht (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.01.2014 - 6 U 118/13, juris - Rn. 19 m.w.N.).
Die Kundgabe des Willens, von dem erstrittenen Titel Gebrauch zu machen, muss notwendigerweise vom Gläubiger ausgehen und dem Schuldner gegenüber erfolgen. Die Zustellung der Entscheidung von Amts wegen reicht daher für eine Vollziehung der einstweiligen Verfügung grundsätzlich nicht aus (Senat, Urteil vom 07. Februar 2017 - 4 U 1419/16 -, Rn. 3, juris). Eine durch Beschluss erlassene einstweilige Verfügung ist vielmehr dem Antragsgegner regelmäßig im Parteibetrieb zuzustellen, weitere Vollstreckungshandlungen sind dann während der
Vollziehungsfrist regelmäßig nicht geboten.
Diese Grundsätze sind jedoch im Anwendungsbereich der EuZustVO zu modifizieren, weil dort eine Parteizustellung nur unter den Voraussetzungen des Art. 15 EuZustVO in Betracht kommt.
Dies setzt voraus, dass die Parteizustellung nach dem Recht des Empfangsmitgliedsstaates überhaupt zulässig ist. In Irland ist dies indes nicht der Fall
(Europäischer Gerichtsatlas für Zivilsachen, Zustellung von Schriftstücken „Irland“ abrufbar unter https://e-justice.europa.eu/content serving documents-373-ie-de.do?member=1
Senat, Beschluss vom 06. November 2018 - 4 W 917/18 -, Rn. 6, juris).
Folgerichtig kann von dem Gläubiger eine solche Parteizustellung als Vollziehungshandlung weder vorgenommen noch verlangt werden. Nach dem ausdrücklich angeordneten Vorrang des Europäischen Zustellungsrechts (§ 183 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) ist vielmehr die Zustellung im Parteibetrieb durch eine Zustellung durch das Gericht auf Veranlassung der Partei nach §§ 191, 183, 1069 ZPO in Verbindung mit Art. 14 EuZustVO zu ersetzen (OLG Dresden, Beschluss vom 06. November 2018 - 4W 917/18 -, Rn. 7, juris).
Zur fristgerechten Vollziehung einer Unterlassungsverfügung gegenüber einem im Ausland ansässigen Titelschuldner reicht es aus, wenn der Gläubiger innerhalb der Vollziehungsfrist den Antrag auf Auslandszustellung bei Gericht einreicht und die tatsächliche Zustellung „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO, d. h. insbesondere ohne jede vom Gläubiger zu vertretende Verzögerung bewirkt wird (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 01.07.2014 - 6 U 104/14 - juris). Denn der Gläubiger hat mit der Antragstellung alles getan, was ihm möglich ist, und er soll keinen Nachteil wegen der Dauer des Verfahrens erleiden (vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2005 - I ZB 63/05 - juris).
Vorliegend hat der Kläger noch am 26.6.2019 die Zustellung von Amts wegen beantragt und gegen den ablehnenden Beschluss des Landgerichts am 27.6.2019 sofortige Beschwerde eingelegt.
Das Landgericht hat sodann die Zustellung im Amtsbetrieb mit Beschluss vom 02.07.2019 und erneut mit Verfügung vom 29.8.2019 angeordnet. Die Zustellung lässt die Beklagte auch grundsätzlich gegen sich gelten; sie beruft sich lediglich darauf, das nach Art. 8 Abs. 1 EuZustVO erforderliche Formblatt nicht mit der einstweiligen Verfügung vom 21.6.2019, sondern nur mit dem Antrag des Klägers auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes erhalten zu haben.
Dieser Einwand ist indes unbehelflich. Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgeht, dass sich die bei den Akten (Bl. 136) befindliche Annahmeverweigerung vom 2.9.2019 nicht gegen die Zustellung der einstweiligen Verfügung richtete, und insofern das Formblatt gar nicht beigefügt war, steht dies einer wirksamen Zustellung nicht entgegen.
Der Senat verkennt hierbei nicht, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die EuZustVO eine nationale Bestimmung ausschließt, die vorsieht, dass die vom Fehlen des Formblatts in Anhang II zur EuZustVO 2007 herrührende Regelwidrigkeit der Zustellung durch den Ablauf einer Frist geheilt werden kann, innerhalb deren der Empfänger das Fehlen des Formblatts nicht rügt. Dieses Versäumnis kann nur durch eine Zustellung des Formblatts im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen der EuZustVO 2007 an den Empfänger geheilt werden (EuGH, Urteil vom 16.09.2015 - C 519/13 - juris, vom 02.03.2017 - C-354/15 ["Henderson"], juris Rn. 67; OLG Köln, Beschluss vom 29. November 2017 - 7 VA 16/17 -, Rn. 32 - 33, juris).
Andererseits ist aber Art. 8 EuZustVO dahingehend auszulegen, dass die fehlende Übersetzung nachgereicht werden kann und die Zustellung auch ohne Übersetzung bereits fristwahrend ist (Zöller-Geimer, aaO. Art. 8 EuZustVO Rn 4 m.w.N.). Fehlt es bereits an einem Hinweis auf das Annahmeverweigerungsrecht, so ist die Zustellung gescheitert, wenn der Zustellungsempfänger das Recht gehabt hätte, die Annahme unter Berufung hierauf zu verweigern, er aber nicht ausreichend über sein Zurückweisungsrecht belehrt wurde.
Das
Verfahren darf dann nicht fortgesetzt werden, und ein dennoch ergehendes Urteil kann wegen Art 22 lit b nicht anerkannt werden (Rauscher/Heiderhoff Art 8 EuZustVO Rn 31 f; (Staudinger/Spellenberg (2015) Artikel 18 Brüssel IIa-VO, Rn. 52). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass eine fehlende Belehrung über das Annahmeverweigerungsrecht die Wirksamkeit der Zustellung in den Fällen unberührt lässt, in denen der Schuldner ohnehin nicht berechtigt gewesen wäre, die Annahme zu verweigern.
Ein solcher Fall liegt hier vor. Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, ist die Beklagte der deutschen Sprache im Sinne des Art. 8 Abs. 1 S. 1a) EuZustVO hinreichend mächtig.
Ob dies der Fall ist, entscheidet das mit der Rechtsstreitigkeit befasste Gericht aufgrund von Indizien und Anhaltspunkten (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 05.04.2019 - 3 W 286/19).
Zu diesen Anhaltspunkten zählt die Vereinbarung der deutschen Sprache als Vertragssprache und die tatsächliche Korrespondenz in der vereinbarten Sprache (vgl. OLG Dresden Beschluss vom 05.04.2019 - 3 W 287/19; EuGH, Urteil vom 08.05.2008 - C-14/07 - juris). Die Beklagte hat unstreitig in Deutschland mehrere Millionen Kunden, unterhält ihr Angebot in deutscher Sprache und hat auch ihre Nutzungsbedingungen in deutscher Sprache verfasst. Es ist daher davon auszugehen, dass sie über Mitarbeiter verfügt, die nicht nur deutsch sprechen und verstehen, sondern auch das Deutsche Recht kennen, der Senat nimmt insofern zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug.
Die Zustellung ist auch demnächst im Sinne von § 167 ZPO erfolgt. Hierfür darf nicht auf eine rein zeitliche Betrachtungsweise abgestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12.09.2019 - IV ZR 262/18 - juris). Vielmehr sollen, wenn die Zustellung von Amts wegen geschieht, die Parteien vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebes bewahrt werden, denn diese Verzögerungen können von ihnen nicht beeinflusst werden (so BGH, a.a.O.).
Der Kläger hat keinen Einfluss auf eine ordnungsgemäße Zustellung durch das Landgericht. Fehler sind ihm insoweit nicht zuzurechnen. Der Kläger wurde erst durch telefonischen Anruf vom 23.08.2019 darüber informiert, dass zum Nachweis der Zustellung noch kein AR-Schein vorliegt. Am 26.08.2019 wurde um erneute Zustellung gebeten, die am 29.08.2019 durch das Landgericht veranlasst wurde. Über die mit der Berufungserwiderung vorgetragenen Bemühungen hinaus war er auch nicht gehalten, auf eine weitere Beschleunigung der Zustellung hinzuwirken.
Insbesondere war der Kläger nicht gehalten, die einstweilige Verfügung im Parteibetrieb an die Rechtsanwaltskanzlei (...) zuzustellen, als diese sich ihm gegenüber mit Schriftsatz vom 25.07.2019 legitimierte. Die Auffassung des OLG Frankfurt (im Beschluss vom 09.07.2013 - 6 U 120/13), das eine entsprechende Pflicht bejaht, lässt die Rechtsprechung des BGH außer Acht, nach der es ausreicht, wenn die Vollstreckung bei der zuständigen Stelle innerhalb der in § 929 Abs. 2 ZPO vorgesehenen Frist beantragt worden ist (BGH, Beschluss vom 15.12.2005 - I ZB 63/05).
Wenn die Bestellung eines Prozessbevollmächtigten - wie hier - erst nach Ausführung der Zustellung, aber noch vor dem tatsächlichen Zugang an die Partei erfolgt ist, bedarf es mithin keiner weiteren Zustellung an den Prozessbevollmächtigten (so Schultzky in Zöller, 33. Aufl., § 172 Rdnr. 8). Bei der Parteizustellung muss der Zustellveranlasser die entsprechende Kenntnis haben. Der für die Kenntnis maßgebliche Zeitpunkt ist entscheidend für die Gültigkeit der Zustellung. Wird die Kenntnis später erlangt, so besteht keine Pflicht einer nachträglichen Änderung des Auftrages oder des Verfahrens (vgl. Roth in Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO, 23. Aufl., Rdnr. 10). Erst recht muss dies gelten, wenn - wie hier - die Zustellung von Amts wegen nach der EuZustVO bewirkt wird, weil hier der Gläubiger keinen Einfluss auf die Ausführung der Zustellung hat.
Unabhängig davon wäre eine fehlerhafte Zustellung auch gemäß § 189 ZPO geheilt. Die Vorschrift ist im Einklang mit der Zielsetzung des Gesetzgebers grundsätzlich weit auszulegen (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2019 - III ZR 150/18 - juris). Sie hat den Sinn, die förmlichen Zustellungsvorschriften nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen, sondern die Zustellung auch dann als bewirkt anzusehen, wenn der Zustellungszweck anderweitig, nämlich durch tatsächlichen Zugang erreicht wird.
Der Zweck der Zustellung ist es, dem Adressaten angemessene Gelegenheit zu verschaffen, von einem Schriftstück Kenntnis zu nehmen, und den Zeitpunkt der Bekanntgabe zu dokumentieren (so BGH, a.a.O.). Ist die Gelegenheit zur Kenntnisnahme für den Zustellungsadressaten gewährleistet und steht der tatsächliche Zugang des betreffenden Schriftstückes bei ihm fest, bedarf es daher besonderer Gründe, die Zustellungswirkung entgegen dem Wortlaut des § 189 ZPO nicht eintreten zu lassen (so BGH, a.a.O.).
So kann die Zusendung einer Ausfertigung einer einstweiligen Verfügung zur Vollziehung per Telefax an den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerseite einen Zustellmangel heilen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 15.11.2019 - 6 U 125/19). Im vorliegenden Fall ist die einstweilige Verfügung der Beklagten unstreitig noch vor dem 25.7.2019 zugegangen. Der Kläger hat der Beklagten per Telefax die einstweilige Verfügung am 09.07.2019 zugeleitet. Darüber hinaus wurde - wie bereits ausgeführt - die Zustellung durch das Landgericht mit Verfügung vom 03.07.2019 und mit Verfügung vom 29.08.2019 veranlasst. Der Schriftsatz der Kanzlei (...) vom 25.07.2019 belegt, dass der Beklagten die einstweilige Verfügung zugegangen und ab diesem Datum bekannt war, unabhängig davon, dass die Beklagte auch nicht bestreitet, die einstweilige Verfügung bereits unmittelbar nach der Verfügung des Landgerichts vom 3.7.2019 - wenngleich ohne das Formblatt nach Art. 8 EuZustVO - erhalten zu haben.
2.
Zu Recht hat das Landgericht auch einen Verfügungsanspruch aus § 241 BGB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien bestehenden Nutzungsvertrag bejaht. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der Sperre seines Twitter-Accounts wegen der in Rede stehenden Äußerung. Die in Rede stehenden Tweets verstoßen nicht gegen die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, namentlich die Richtlinie zur Integrität der Wahlen.
Bei dieser Richtlinie und den Nutzungsbedingungen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 BGB. Mit solchen Verhaltensregeln definiert der Plattformbetreiber zugleich seine eigenen Rechte, Rechtsgüter und Interessen, auf die der Nutzer gemäß § 241 Abs. 2 BGB bei der Inanspruchnahme der bereitgestellten Leistungen seinerseits Rücksicht zu nehmen hat (vgl. OLG München, Urteil vom 07.01.2020 - 18 U 1491/19 Rdnr. 116 - juris).
Grundsätzlich kann der Betreiber eines sozialen Netzwerkes seine Verhaltensregeln zwar auch durch Entfernung eines rechtswidrigen Inhalts oder durch Sperrung eines Nutzeraccounts durchsetzen (vgl. Senat, Urteil vom 06.12.2019 - 4 U 2198/19 - juris; vgl. Landgericht Frankfurt, Beschluss vom 10.09.2018 - 2-03 O 310/18 - juris).
Die Beklagte hat hier allerdings bereits nicht glaubhaft gemacht, die Richtlinie zur Integrität von Wahlen vom April 2019 (Anlage K3) wirksam in den Nutzungsvertrag mit dem Kläger einbezogen zu haben.
Dass er der Einbeziehung dieser Richtlinie etwa durch Anklicken eines Links ausdrücklich zugestimmt hat, hat der Kläger bestritten. Auf Ziff. 6 der als Anlage ASt 2 vorgelegten "Twitter Allgemeine Geschäftsbedingungen" kann die Beklagte sich für die wirksame Einbeziehung nicht berufen.
Die dort enthaltene Klausel "wir sind berechtigt, diese Bedingungen ggf. von Zeit zu Zeit zu überarbeiten", verstößt gegen § 307 BGB i.V.m. den aus § 308 Nr. 4 und 5 BGB abzuleitenden Wertungen (KG Berlin, Urteil vom 24. Januar 2014 - 5 U 42/12 -, juris; noch offen gelassen von Senat, Beschluss vom 19. November 2019 - 4 U 1471/19 -, Rn. 3, juris). Die o. a. Klausel erlaubt nach der maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung Anpassungen nicht nur von einzelnen Details der vertraglichen Beziehungen der Parteien, sondern ermächtigt zu jedweder Änderung der Erklärung der Rechte und Pflichten einschließlich der Essentialia des Vertrages, wie der Unentgeltlichkeit und der Pflicht zur Bereitstellung des Dienstes. Der Verwender erhält damit eine Handhabe, das Vertragsgefüge insgesamt umzugestalten, insbesondere das Äquivalenzverhältnis von Leistungen und Gegenleistungen erheblich zu seinen Gunsten zu verschieben und damit die Position seines Vertragspartners zu entwerten.
Letztendlich kann es aber offen bleiben, ob die Richtlinie zu Integrität von Wahlen wirksam einbezogen wurde, denn auch diese rechtfertigt die Sperrung des Accounts des Klägers nicht.
Die Äußerung des Klägers ist vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 GG geschützt. Im Hinblick auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte muss gewährleistet sein, dass eine zulässige Meinungsäußerung nicht von der Plattform entfernt werden darf (vgl. OLG München, Beschluss vom 24.08.2018 - 18 W 1294/18). Grundrechte verpflichten die Privaten grundsätzlich nicht unmittelbar untereinander selbst. Sie entfalten jedoch auch auf die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen Ausstrahlungswirkung und sind von den Fachgerichten, insbesondere über zivilrechtliche Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe, bei der Auslegung des Fachrechtes zur Geltung zu bringen (vgl. Senat, Beschluss vom 08.08.2018 - 4 W 577/18 - juris).
Dabei kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (so Senat, a.a.O.). Diese mittelbare Drittwirkung ist auch bei Auslegung von AGB zu berücksichtigen (Senat, a.a.O.). Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist gegenüber den Grundrechten der Anbieter nicht schlechthin vorrangig.
Auf Seiten der Anbieter ist deren „virtuelles Hausrecht“ zu berücksichtigen (vgl. Senat a.a.O.). Grundsätzlich gehört zur Freiheit jeder Person - hier der Beklagten -, nach eigenen Präferenzen darüber zu bestimmen, mit wem sie unter welchen Bedingungen welche Verträge abschließen will. Ebenso wenig wie eine Zeitung verpflichtet wäre, alle ihr eingesandten Leserbriefe abzudrucken, ist die Beklagte verpflichtet, die Nutzungsbedingungen für ihre Plattform so auszugestalten, dass alle Meinungsäußerungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle dort verarbeitet werden dürfen (Senat, Beschluss vom 08.08.2018 - 4 W 577/18 - juris). Hierbei muss ebenfalls in die Abwägung einbezogen werden, dass der Plattform der Beklagten aufgrund der hohen Nutzerzahlen eine sehr hohe Bedeutung für die öffentliche Kommunikation und Meinungsbildung zukommt. Es handelt sich auch bei der Beklagten um einen öffentlichen Kommunikationsraum, der dadurch charakterisiert wird, dass auf ihm eine Vielzahl von verschiedenen Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden kann, wodurch ein vielseitiges und offenes Kommunikationsgeflecht entsteht (vgl. Senat, Beschluss vom 08.08.2018, 4 W 577/18, Rn 24 - juris).
Hier verletzt allerdings die Meinungsäußerung des Klägers die Richtlinie der Beklagten nicht.
Die beanstandete Äußerung des Klägers ist in ihrem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Dabei kommt es auf das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittsrezipienten an (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.09.2018 - 4 W 63/18 - juris).
Es kann hier auch offenbleiben, ob es bei Kurzbeiträgen im Internet auf sozialen Plattformen auf einen flüchtigen Durchschnittsleser abzustellen ist, denn auch für diesen weisen die beanstandeten Äußerungen erkennbar satirischen Inhalt auf. Die Aufforderung, den Wahlzettel persönlich zu unterschreiben, mag nach ihrem reinen Wortlaut auf eine Irreführung bei der Abgabe des Wahlzettels hindeuten.
Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass sich dieser Aufruf nur an „Y...-Wähler“ richtet.
Auch für einen flüchtigen Leser ist daher erkennbar, dass eine Empfehlung, die sich nur an Wähler einer bestimmten Partei richtet, nicht ernst gemeint sein kann. Denn wenn eine Pflicht zur Unterschrift des Wahlzettels bestünde, würde sie für jeden Wähler gelten. Auch die Äußerung, dass Y...-Wähler zum Unterschreiben des Wahlzettels unbedingt den "blauen Kugelschreiber" in der Wahlkabine verwenden sollen, ist erkennbar auch für einen flüchtigen Durchschnittsleser satirischen Inhalts.
Auch hier richtet sich die Empfehlung ausschließlich an Y...-Wähler und spielt auf die vorherrschende Farbe an, mit der diese Partei im Wahlkampf auftritt. Irgendein sinnvoller Grund bei Unterschriftsleistungen nur einen Kugelschreiber einer bestimmten Farbe zu verwenden, ist auch für einen unbedarften Leser nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass die Äußerung von einem Mitglied einer Partei abgegeben wurde, die zu den bekennenden Gegnern der Y... gehört und mit dem Hashtag "# XXXsperre" versehen ist.
Mit diesem Hashtag soll - gerichtsbekannt - die Lösch- und Sperrpraxis der Beklagten thematisiert werden, indem bewusst ein Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen der Beklagten erfolgt, um eine Sperraktion zu provozieren. Die Kritik an der Sperrpraxis von XXX erfolgt damit nicht direkt, sondern durch eine ästhetische Nachahmung eben dieser Wirklichkeit, wie sie für die Satire charakteristisch ist.
In dieser Herangehensweise ähnelt das Vorgehen des Klägers dem "Schmähgedicht" des Satirikers Böhmermann, das ebenfalls auf bewusste Grenzüberschreitung in satirischer Absicht abzielt. Der Hashtag hat zwischenzeitlich eine gewisse Breitenwirkung erreicht, was nicht nur aus den vom Kläger vorgelegten Parallelverfahren deutlich wird (vgl. etwa (...)).
Angesichts dieser deutlich erkennbaren satirischen Absicht liegt in der Gesamtschau ein Verstoß gegen die Wahlrechtsrichtlinie der Beklagten nicht vor.
Eine andere Bewertung der Äußerung ist auch deshalb nicht geboten, weil in der Stadt (...) eine Wahl wiederholt werden musste, weil einer der Wahlhelfer einem Wähler auf seine konkrete Frage hin, ob der Wahlzettel unterschrieben werden müsse, im Scherz mit „ja“ geantwortet hat. Im Wahllokal musste den Wahlhelfern klar sein, dass die Frage des Wählers ernst gemeint war und der Wähler sich über die Notwendigkeit der Unterschrift unsicher war. Die Wahlhelfer, die für einen ordnungsgemäßen Wahlablauf zu sorgen haben, waren hier gehalten, die Frage korrekt zu beantworten. Diese Situation ist mit Äußerungen auf einem XXX-Account, auf dem Meinungen - und zwar auch durchaus in satirischer Form - ausgetauscht werden, nicht vergleichbar.
3.
Es besteht auch ein Verfügungsgrund gemäß §§ 935, 940 ZPO. Zwar ist bei einem Dauerschuldverhältnis - wie hier - die Untersagung der Sperrung für die Zeitdauer bis zu Entscheidung in der Hauptsache nicht nachholbar und damit endgültig.
Dies gilt aber im gleichen Maße auch für die Zeitdauer in der die Sperrung des Accounts fortbesteht. Hierbei muss eine Abwägung der gegenseitigen Interessen stattfinden, bei der auch der Inhalt der beanstandeten Äußerung berücksichtigt werden kann. Es handelt sich hier nicht um eine Hassrede oder einen Aufruf zur Gewalt und auch um keine Äußerung, bei der der Beklagten die Inanspruchnahme durch Dritte drohen könnte. Ein Nachteil für die Beklagte bei einer zeitweisen Untersagung der Sperrung ist nicht erkennbar.
Die Gefahr, nach dem Netzdurchsetzungsgesetz für die unterbliebene Entfernung haftbar gemacht zu werden, besteht schon deshalb nicht, weil § 108a StGB nicht zu den Katalogstraftaten des § 1 Abs. 3 NetzDG zählt, unabhängig davon, dass es sich hierbei um ein Erfolgsdelikt handelt, dessen Tatbestandsvoraussetzungen durch den streitgegenständlichen Tweets nicht erfüllt werden.
Der Kläger ist jedoch zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit auf seinen Twitter-Account angewiesen. Darüber hinaus hat er sich als Direktkandidat bei der Landtagswahl beworben und nutzte seinen Twitter-Account zum Meinungsaustausch in politischen Themen.
Im Hinblick darauf, dass der Kläger bei dem streitgegenständlichen Account nach seinem unbestrittenen Vorbringen ca. 1.500 Follower hatte und bei seinem Zweit-Account erheblich weniger, ca. 400 Follower, bot die Nutzung die Zweit-Accounts keinen gleichwertigen Ersatz. Wegen der anstehenden Landtagswahl und der ausgeübten Berufstätigkeit war für den Kläger die Nutzung seines Accounts besonders eilbedürftig.
Die Folgen, die einträten, wenn dem Kläger die Nutzung seines Twitter-Accounts (zu Unrecht) verwehrt wäre, würden schwerer wiegen als die Folgen, die einträten, wenn die Beklagte (zu Unrecht) verpflichtet würde, die Sperrung aufzuheben (vgl. hierzu BverfG einstweilige Anordnung vom 22.05.2019 - 1 BvQ 42/19 - juris). Die Beklagte kann den Kläger auch nicht darauf verweisen, dass er den in Rede stehenden Tweets einfach löschen und damit die Entsperrung seines Accounts selbst herbeiführen könne. Dies liefe praktisch auf eine Anerkennung der Forderung der Beklagten auf Löschung des Tweets hinaus. Der Kläger würde sich damit seines Rechts auf Durchsetzung seiner Ansprüche auch im einstweiligen Verfügungsverfahren begeben.
Der Senat rät der Beklagten infolgedessen zu einer Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.