(Unzulässiges) Modell zur Rückerstattung gezahlter Mehrwertsteuer kein Wettbewerbsverstoß
Leitsatz
(Unzulässiges) Modell zur Rückerstattung gezahlter Mehrwertsteuer kein Wettbewerbsverstoß
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 2.3.2015 verkündete Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Darmstadt wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Entscheidungsgründe
I.
Die Parteien streiten über wettbewerbsrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit dem Geschäft der Mehrwertsteuerrückerstattung an Privatpersonen, die ihren Wohnsitz außerhalb der EU haben.
Die Parteien sind sogenannte Tax-Free-Operatoren. Das Geschäftsmodell beider Parteien besteht darin, Nicht-EU-Bürgern, die innerhalb Deutschlands privat Waren einkaufen, die Rückerstattung der im Inland gezahlten Mehrwertsteuer zu ermöglichen. Damit sie nicht durch die hier anfallende Mehrwertsteuer und zusätzlich mit der im Herkunftsstaat gegebenenfalls anfallende Einfuhrumsatzsteuer doppelt belastet werden, können sie von der inländischen Mehrwertsteuer befreit werden. Diese Steuerbefreiung greift erst, wenn der Verkäufer, in der Regel ein Einzelhändler, nachweisen kann, dass die Ware vom Käufer persönlich erworben (sog. Abnehmernachweis) und über die EU-Grenze exportiert wurde (sog. Ausfuhrnachweis). Der Nachweis kann dadurch geführt werden, dass der Zoll durch einen Zollstempel bestätigt, dass die auf der Kassenquittung aufgeführte Ware ausgeführt wurde und dass die Person, die die Ware gekauft hat, mit der im Grenzübertrittpapier verzeichneten Person identisch ist.
Das Geschäftsmodell der Klägerin ist unter dem Namen "Single-Sales-Verfahren" bekannt. Es gestaltet sich in der Weise, dass sie die ordnungsgemäß abgestempelten Originalbelege, die auf ein entsprechendes Formular der Klägerin getackert sind, entgegennimmt und dem Touristen die entsprechende Umsatzsteuer abzüglich Gebühren auszahlt. Hierzu betreibt sie eine Auszahlungsstelle am Flughafen Frankfurt, welche Reisende nach der Zollkontrolle aufsuchen können. Sie ist mit Einzelhändlern durch Rahmenverträge verbunden, in denen festgelegt ist, dass sie im Auftrag des Händlers die Mehrwertsteuer an Kunden zurückerstattet. Den auf der Händlerrechnung ausgewiesenen Mehrwertsteuerbetrag erhält sie später vom Händler zurück. Der Händler seinerseits rechnet die in den Belegen ausgewiesene Mehrwertsteuer gegenüber dem Finanzamt in voller Höhe ab und erhält von der Klägerin zusätzlich eine Provision.
Die Beklagte betreibt nach ihren Angaben das sog. "Double-Sales-Verfahren". Dieses Verfahren zeichnet sich dadurch aus, dass der Nicht-EU-Bürger vor Beginn etwaiger Einkäufe von seinem Reiseleiter ein Vollmachtsformular des Dienstleisters erhält, welches ihn in einem ersten Schritt ermächtigt, Kaufverträge Namens und in Vollmacht des Dienstleisters mit den jeweiligen Einzelhändlern abzuschließen. In einem zweiten Schritt veräußert der Dienstleister den erworbenen Artikel an den Reisenden weiter. Er erstattet ihm dann die Mehrwertsteuer und kann diese direkt - ohne Einschaltung des Händlers - beim Finanzamt geltend machen. Im Unterschied zum Verfahren der Klägerin bedarf es nach diesem System keiner Rahmenverträge mit angeschlossenen Händlern. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Allgemeinverfügung der Oberfinanzdirektion Stuttgart vom 25.3.2002 (Anlage K1) verwiesen. Die Beklagte nutzt ein entsprechendes Vollmachtsformular, an welches die Kaufbelege angeheftet werden können (sog. "Voucher", Anlage B1). Es beinhaltet eine Vollmacht des Reisenden, Waren im Namen der Beklagten einzukaufen und sie anschließend an sich weiter zu veräußern.
Die steuerrechtliche Zulässigkeit des - richtig betriebenen - "Double-Sales-Verfahrens" steht zwischen den Parteien nicht in Streit. Die Klägerin behauptet, die Beklagte betreibe abweichend davon ein System des "nachträglichen Doppelkaufs". Dabei kaufe der Kunde im Geschäft zunächst im eigenen Namen, lege also keine Vollmacht vor. Später werde trotzdem mit der Beklagten abgerechnet und ein Kauf durch die Beklagte fingiert. Dies sei unzulässig, weil es zum Kaufzeitpunkt an der Offenkundigkeit (Klarstellung, dass der Kunde nicht beim Händler, sondern bei der Beklagten kauft) fehle.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 I Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das von der Beklagten praktizierte Verfahren sei steuerrechtlich nicht zu beanstanden. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Im Berufungsrechtszug wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 2.3.2018,
1. der Beklagten bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, den nachstehend spezifizierten Doppelkauf zu betreiben: Ankauf von Waren von einem Einzelhändler, der zum Zeitpunkt des Ankaufs von diesem Ankauf keine Kenntnis hat und die Beklagte auch nicht bevollmächtigt hat bei gleichzeitigem Weiterverkauf der durch den Kaufvertrag erworbenen Gegenstände an eine natürliche Person mit Wohnort außerhalb der EU zu Zwecken der Mehrwertsteuerrückerstattung;
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rechnung darüber zu legen, in welchem Umfang die Beklagte den Schein-Doppelkauf begangen hat und zwar unter Vorlage eines Verzeichnisses der Angabe der einzelnen Käufe unter Nennung
a) der Liefermengen, der Lieferpreise, der Verkäufer
b) dito für die Verkäufe zusätzlich unter Angabe des erzielten Gewinns in Form von Gebühren für die Rückerstattung.
Der Beklagten mag vorbehalten bleiben, die Namen und Anschriften der Vertragspartner des Kaufs statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die durch seine Einschaltung entstehenden Kosten trägt und ihn ermächtigt, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob bestimmte Abnehmer und/oder Liefermengen in der Rechnung enthalten sind;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu erstatten, der ihr aus dem Betrieb vorstehend bezeichneten Doppelkaufs entstanden ist und künftig entstehen wird.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Unterlassung des im Klageantrag skizzierten Geschäftsmodells aus §§ 3, 8 I, III Nr. 1 UWG zu. Dabei kann dahinstehen, ob die von der Beklagten praktizierte Vorgehensweise steuerrechtlich und/oder zivilrechtlich unrechtmäßig ist. Es fehlt jedenfalls an einem unlauteren Verhalten.
a) Ein Verstoß gegen § 3a UWG liegt nicht vor. Gemäß § 3a UWGhandelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Die verletzte Norm muss daher jedenfalls auch die Funktion haben, gleiche Voraussetzungen für die auf einem Markt tätigen Wettbewerber zu schaffen.
aa) Die Klägerin beruft sich darauf, das Geschäftsmodell der Beklagten verstoße gegen § 4 I UStG i.V.m. § 6 III a UStG i.V.m. § 8 II UStDV. Steuerrechtliche Vorschriften stellen grundsätzlich keine Marktverhaltensregelungen dar. Ihr Zweck beschränkt sich im Normalfall darauf, die Finanzierung des Gemeinwesens zu ermöglichen. Sie regeln insoweit nicht das Marktverhalten, sondern lediglich das Verhältnis zwischen dem Hoheitsträger und dem Steuerpflichtigen. Es ist daher lauterkeitsrechtlich unerheblich, ob sich ein Unternehmer durch das Hinterziehen von Steuern einen Vorsprung im Wettbewerb verschafft (vgl. BGH GRUR 2010, 654 Rn. 19 - Zweckbetrieb). Nichts anderes gilt für die von der Klägerin behauptete Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch die Beklagte. Darin liegt kein lauterkeitsrechtlich zu beanstandendes Verhalten. Der Mitbewerber kann gegebenenfalls eine steuerrechtliche Konkurrentenklage gegen das Finanzamt erheben (BGH aaO Rn. 22).
bb) Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die einschlägige Marktverhaltensregel sei "das BGB AT". Sie teilt schon nicht konkret mit, welche Bestimmungen sie meint.
(1) Die Klägerin behauptet, die Beklagte betreibe einen sog. nachträglichen Doppelkauf. Dabei schließe der Händler zunächst mit dem Kunden einen Kaufvertrag. Erst im Nachhinein werde ein Vertrag zwischen der Beklagten und dem Händler fingiert. Dieses Verfahren ergebe sich aus dem eigenen Vortrag der Beklagten in dem vor dem Landgericht Frankfurt geführten Parallelverfahren (...). Danach würden die Kunden im Regelfall im Einzelhandelsgeschäft noch keine Entscheidung treffen, von welchem Dienstleister sie sich später die Mehrwertsteuer zurückerstatten lassen. Diese Entscheidung treffe der Kunde erst, wenn er den Kassenbon (mit oder ohne Voucher) dem Dienstleister vorlege. Damit sei der Vortrag der Beklagten im vorliegenden Verfahren falsch, wonach die Kunden im Geschäft einen Voucher (= Vollmacht) der Beklagten vorlegen und einen Kaufvertag als Vertreter der Beklagten mit dem Händler zustande bringen. Aus den Anlagen K4 und K5 ergebe sich im Übrigen, dass selbst in den "Vollmachts-Fällen" der Händler davon ausgehe, den Vertrag mit dem Touristen abzuschließen. Die Beklagte beruft sich demgegenüber auf das Rechtsinstitut des Geschäfts "für den, den es angeht".
(2) Die zivilrechtliche Wirksamkeit des Modells der Beklagten kann dahinstehen. Die Vorschriften zum Zustandekommen von Rechtsgeschäften dienen jedenfalls nicht dazu, das Marktverhalten zu regeln (vgl. Köhler/Bornkamm, 37. Aufl., UWG, § 3a, Rn. 1.77). Dies gilt auch für die Vorschriften zum Scheingeschäft. Aus steuerlichen Gründen ungewöhnlich gestaltete Verträge können nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn mit ihnen das Ziel der Steuerhinterziehung verfolgt wird (BGH GRUR 2006, 511 Rn. 18 - Umsatzsteuererstattungs-Modell). Selbst wenn man das hier annehmen wollte, läge in dem Eingehen solcher Verträge kein Wettbewerbsverstoß. Denn die Bestimmung des § 117 BGB ist keine Vorschrift, die dazu bestimmt ist, das Marktverhalten zu regeln.
cc) Marktverhaltensregelungen stellen lediglich solche zivilrechtlichen Bestimmungen dar, denen eine Schutzfunktion für Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer zukommt. Dies gilt unter anderem für die Bestimmungen zur Unwirksamkeit von AGB (vgl. Köhler/Bornkamm, aaO, Rn. 1.288 m.w.N.). Insoweit fehlt es vorliegend an entsprechendem Vortrag. Es ist nicht ersichtlich, dass die AGB der Beklagten unwirksam sind. Aus welcher AGB sich das "Fingieren" eines Kaufvertrages zwischen Händler und der Beklagten ergeben soll, teilt die Klägerin schon nicht mit. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die von der Beklagten angebotene Vertragsgestaltung die Kunden unangemessen benachteiligt. Einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot macht die Klägerin nicht geltend.
b) Die Klägerin kann ihr Unterlassungsbegehren auch nicht mit Erfolg auf § 3 Abs. 2 UWG wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die unternehmerische Sorgfalt stützen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um die sog. Verbrauchergeneralklausel. Sie hat nur subsidiäre Bedeutung. Mit ihr kann insbesondere keine Erweiterung des Rechtsbruchtatbestands (§ 3a UWG) bewirkt werden (Köhler/Bornkamm, aaO., § 3 Rn. 2.29). Dieser ist bei Verstößen gegen außerwettbewerbsrechtliche Rechtsnormen als abschließend zu betrachten. Das gilt jedenfalls für solche Regelungen, die keine Grundlage in der UGP-Richtlinie haben, deren Umsetzung § 3 Abs. 2 UWG alleine dient (Köhler/Bornkamm, aaO, § 3 Rn. 3.10, 3.17). Die Bestimmung bezweckt im Übrigen nur den Schutz der Verbraucher, nicht auch der Mitbewerber (Köhler/Bornkamm, aaO, Rn. 3.2). Es ist nicht ersichtlich, inwieweit Verbraucher - vorliegend Reisende, die sich die bezahlte Mehrwertsteuer erstatten lassen wollen - durch das System der Beklagten unangemessen benachteiligt oder beeinträchtigt werden.
c) Ohne Erfolg stützt sich die Klägerin schließlich auf § 7 UWG. Insoweit trägt sie einen Sachverhalt des Abwerbens von Kunden vor. Die Beklagte wende sich an Kunden, die bei einem mit der Klägerin vertraglich verbundenen Händler gekauft haben und werbe diese ab. Diese Kunden seien der Klägerin zuzuordnen. Sie würden bei der Abwerbung unzumutbar belästigt. (Bl. 43 d.A.). Der Sache nach beruft sie sich damit auch auf den Tatbestand der gezielten Behinderung nach § 4 Nr. 4 UWG.
aa) Dem Anspruch steht bereits die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Frankfurt in der Sache ... entgegen. Dort wurde dieser Sachverhalt auch vorgetragen und zum Gegenstand des Antrags zu 2. gemacht. Das Begehren der Klägerin ist von dem im vorliegenden Verfahren gestellten Unterlassungsantrag auch nicht umfasst. Der Antrag stellt nicht darauf ab, dass ein Händler bei einem Kauf bereits ein Formular der Klägerin ausgefüllt hat und die Beklagte diesen Kunden "abfängt".
bb) Ein unlauteres Abfangen von Kunden liegt im Übrigen nicht vor. Davon ist nur dann auszugehen, wenn sich der Werbende gewissermaßen zwischen den Mitbewerber und dessen Kunden stellt, um diesem eine Änderung seines Kaufentschlusses aufzudrängen (BGH GRUR 2011, 166 Rn. 30- Rote Briefkästen m.w.N.). Es bedarf einer unangemessenen Einwirkung auf Kunden, die dem Mitbewerber bereits zuzurechnen sind (BGH WRP 2014, 424 Rn. 35- wetteronline.de).
Es müssen also zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die angesprochenen Kunden müssen bereits dem Mitbewerber zuzurechnen sein; es muss in unangemessener Weise auf sie eingewirkt worden sein. Die Unangemessenheit der Mittel ist u. a. zu bejahen, wenn die potentiellen Kunden im Sinne des § 7 UWGunzumutbar belästigt werden (Senat, GRUR-RR 2017, 278 - Belästigung in Fahrzeugschlange). Solche Umstände sind im Streitfall nicht dargetan. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die Kunden in eine Situation gebracht werden, der sie sich nur schwer entziehen können, oder dass sie von Werbern über deren Zugehörigkeit zum Unternehmen der Beklagten getäuscht werden. Die Klägerin beschreibt die Abwerbesituation im vorliegenden Verfahren in keiner Weise. Der Umstand, dass der Kunde nach dem Vortrag der Klägerin bei der Inanspruchnahme der Rückerstattung durch die Beklagte "an einem auf Steuerverkürzung aufbauenden System mitwirkt", reicht nicht aus.
2. Da kein lauterkeitsrechtlich zu beanstandendes Verhalten vorliegt, stehen der Klägerin auch nicht die geltend gemachten Folgeansprüche auf Auskunftserteilung und Schadensersatzfeststellung zu.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 I ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
4. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht erfüllt.