Unberechtigtes "Notice and Take Down“-Verfahrens gegenüber Amazon ist unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
Leitsatz
Unberechtigtes "Notice and Take Down“-Verfahrens gegenüber Amazon ist unberechtigte Schutzrechtsverwarnung
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann - wegen jeder Zuwiderhandlung
untersagt,
a) gegenüber Wiederverkäufern, die das nachfolgend eingeblendete und von der Antragstellerin hergestellte Produkt "Glass Bottle Cap" anbieten oder verkaufen, Abmahnungen auszusprechen oder aussprechen zu lassen mit der Behauptung, dieses "Glass Bottle Cap"-Produkt verletze ihre Geschmacksmusterrechte: (...)
b) gegenüber der Online-Handelsplattform Amazon im Rahmen eines von dem Plattformanbieter zur Verfügung gestellten "Notice and Take Down"-Verfahrens Beschwerden an den Plattformanbieter zu richten oder richten zu lassen mit der Behauptung, ein auf der Handelsplattform Amazon durch einen Wiederverkäufer eingestelltes Angebot des von der Antragstellerin hergestellten und nachstehend eingeblendeten Produktes "Glass Bottle Cap" verletze ihre Geschmacksmusterrechte: (...)
2. Es wird angeordnet, dass die Antragsgegnerin sämtliche Beschwerden, die sie im Rahmen des "Notice and Take Down"-Verfahrens gegenüber dem Plattformbetreiber der Handelsplattform Amazon erhoben hat, und in denen sie gegenüber Amazon behauptet, ein auf der Handelsplattform durch einen Wiederverkäufer eingestelltes Angebot des von der Antragstellerin hergestellten und nachstehend eingeblendeten Produktes "Glass Bottle Cap" verletze ihre Geschmacksmusterrechte, unverzüglich zurückzunehmen hat und unverzüglich gegenüber der Handelsplattform Amazon unter deren Emailanschrift notice-dispute@amazon.de mitzuteilen hat, dass sie die jeweilige Beschwerde zurückzieht und keine Einwände gegen die Wiederaufnahme des Verkaufs dieser Produktes hat: (...)
3. Die Antragsgegnerin hat innerhalb einer Frist von einem Monat ab Zustellung des Beschlusses einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, der im Inland wohnt oder dort einen Geschäftsraum hat, falls kein Prozessbevollmächtigter bestellt wird (§ 184 Absatz 1 Zivilprozessordnung). Wird entgegen dieser Anordnung kein Zustellbevollmächtigter benannt und auch kein Prozessbevollmächtigter bestellt, so wird darauf hingewiesen, dass spätere Zustellungen bis zur nachträglichen Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten dadurch bewirkt werden können, dass die zuzustellenden Schriftstücke unter der Anschrift der Beteiligtenseite zur Post gegeben werden. Für diesen Fall gelten die zuzustellenden Schriftstücke binnen einer Frist von zwei Wochen gemäß § 184 Absatz 2 Satz 1 Zivilprozessordnung nach ihrer Aufgabe zur Post als zugestellt.
4. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Der Streitwert wird auf 100.000,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet. Der Entscheidung liegen prozessual die Regelungen der §§ 935 ff., 922 ZPO zugrunde. Zur Vermeidung einer fortgesetzten Beeinträchtigung der Rechte der Antragstellerin und der sich daraus ergebenden Dringlichkeit ergeht die Entscheidung im Beschlusswege nach § 937 ZPO.
A.
Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist zulässig. Die internationale und örtliche Zuständigkeit folgt aus § 32 ZPO. Begehungsort im Sinne dieser Norm ist sowohl der Handlungs-, als auch der Erfolgsort. Die Antragsgegnerin hat u.a. einen Abnehmer der Antragstellerin in H., den Amazon-Händler F. W., handelnd unter der Firma R., abgemahnt (Anlagen AST 14 und AST 15).
B.
Der Antrag ist auch begründet.
I.
Es besteht ein Verfügungsanspruch.
1. Die Antragstellerin hat die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Unterlassung der im Tenor genannten Handlung glaubhaft gemacht.
Der Antragstellerin steht ein Unterlassungsanspruch aufgrund eines Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu, §§ 823 Abs. 1 BGB, 1004 BGB analog. Eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung stellt einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), GRUR 2006, 443, Rn. 13 – Unbegründete Abnehmerverwarnung).
a. Es liegt eine Schutzrechtsverwarnung vor. Eine solche ist bei einem ernsthaften und endgültigen Unterlassungsbegehren gegeben (BeckOGK/Spindler, BGB, Stand: 01.05.2017, § 823 Rn. 219). Die Antragsgegnerin hat Abnehmer der Antragstellerin angeschrieben und zur Löschung ihres Angebots auf der Amazon-Plattform mit der Begründung aufgefordert, das jeweilige Angebot verletzte ihr Gemeinschaftsgeschmacksmuster … (Anlagen AST 14 ff.).
b. Die Abmahnung ist unberechtigt, da das Gemeinschaftsgeschmacksmuster löschungsreif ist. Jedenfalls eine offenkundige Löschungsreife führt dazu, dass die Abmahnung unberechtigt ist (vgl. BGH, NJW-RR 1998, 331, 332 – Chinaherde; BeckOGK/Spindler, a.a.O. § 823, Rn. 223).
aa. Das eingetragene Muster war bei seiner Anmeldung im Jahr 2016 weder neu noch eigenartig i.S.d. Art. 5 f. der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV). Ein dem Gesamteindruck des streitgegenständlichen Gemeinschaftsgeschmacksmuster entsprechendes Muster war vielmehr bereits unter der Bezeichnung „Guzzle Buddy“ in der US-Comedy-Serie „ C. T.“ im März 2014 offenbart worden.
(1) Das in der US-Fernsehserie gezeigte Weinglas, das keinen Fuß hat und am Stiel Lamellen aufweist, die es ermöglichen, das Glas direkt auf eine Weinflasche aufzusetzen (Anlage AST 4), vermittelt keinen anderen Gesamteindruck als das streitgegenständliche Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Anlage AST 3).
(2) Offenbarung ist jede Mitteilung an einem Dritten (Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, 2. Aufl., Art. 7 Rn. 7). Auch durch das Zeigen in einer Fernsehserie wird das Muster bekannt gemacht. Das Glas wurde in Episode 9 der fünften Staffel der US-Fernsehserie im März 2014 (Anlagen AST 4 und AST 5) und damit vor der Eintragung des streitgegenständlichen Gemeinschaftsgeschmacksmusters gezeigt. Dass es sich dabei um ein damals im Markt noch nicht erhältliches Produkt handelte, ist für die Offenbarung unschädlich.
(3) Dass es sich um eine US-Fernsehserie handelt, steht einer Offenbarung nicht entgegen. Das in der US-Fernsehserie gezeigte Produkt konnte den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverkehr bekannt sein. Auch eine Offenbarungshandlung außerhalb der Gemeinschaft kann neuheitsschädlich sein (BGH, GRUR 2009, 79 Rn. 22 – Gebäckpresse). Bei Veröffentlichungen außerhalb der Gemeinschaft ist die Bedeutung des Staates für Herstellung, Bezug oder Absatz der konkreten Erzeugnisse zu berücksichtigen (Ruhl, a.a.O., Art. 7 Rn. 20 und 23 m.w.N.). Dass die Antragsgegnerin bei der Bewerbung ihres Produkts deutliche Bezüge zu der US-amerikanischen Serie herstellt (AST 7, 8 und 9), zeigt die Bedeutung dieser Offenbarung für den Vertrieb des Produktes der Antragsgegnerin. Außerdem wird der relevante Ausschnitt aus der Serie, in der das Glas zu sehen ist, auf der Plattform YouTube gezeigt und ist damit in der Gemeinschaft abrufbar.
bb. Die Löschungsreife war auch offenkundig. Vorliegend hat die Antragsgegnerin selbst damit geworben, das Glas aus der Serie zu vertreiben (AST 7, 8 und 9).
cc. Ob das 2000 veröffentlichte US Patent … (AST 10) der Neuheit und Eigenart ebenfalls entgegen steht, kann offen bleiben.
c. Die Verwendung des „Notice and Take Down“-Verfahrens gegenüber Amazon stellt ebenfalls eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung dar. Die Nutzung dieser Funktion dient der Löschung des jeweiligen Angebots der Abnehmer der Antragstellerin, die das Produkt der Antragstellerin über die Amazon-Plattform vertreiben.
d. Die unberechtigte Schutzrechtsbehauptung begründet die Vermutung, dass es zu einer wiederholten Verletzung der Rechte der Antragstellerin kommen kann. Zur Ausräumung dieser Vermutung wäre die Abgabe einer ernsthaften, unbefristeten, vorbehaltlosen und hinreichend strafbewehrten Unterlassungserklärung erforderlich gewesen. Die von der Antragstellerin begehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung (AST 12) hat die Antragsgegnerin nicht abgegeben.
2. Die Antragstellerin hat auch einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin die Beschwerden, die sie bei Amazon im Wege des „Notice and Take Down“-Verfahrens erhoben hat, zurücknimmt. Die Unterlassungspflicht beinhaltet auch die Pflicht zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands (BGH, GRUR 2017, 208, Rn. 24 ff. - Rückruf von RESCUE-Produkten; BGH, GRUR 2016, 720 Rn. 34 – Hot Sox). Ohne die Rücknahme ist es den Abnehmer nicht möglich, ihre Angebote wieder auf der Amazon-Plattform einzustellen.
II.
Der Verfügungsgrund folgt bereits aus der Wiederholungsgefahr. Im Übrigen hat die Antragstellerin die Sache geboten dringlich behandelt. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, von den Abmahnungen der Antragsgegnerin erstmals am 01.02.2018 Kenntnis erlangt zu haben (Anlage AST 11).
III.
Ziffer 3 des Tenors beruht auf § 184 ZPO. Für Zustellungen von einstweiligen Verfügungen im Ausland gelten die §§ 183 ff. ZPO (Musielak/Voit/Huber, ZPO, 14. Aufl. § 922 Rn. 9), so dass auch § 184 ZPO zur Anwendung kommt.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Gegenstandswert ist nach den §§ 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, 3 ZPO geschätzt worden.