Kennzeichnungspflicht nach der KakaoV als Wettbewerbsverstoß
Leitsatz
Kennzeichnungspflicht nach der KakaoV als Wettbewerbsverstoß
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 30. August 2016 wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg, ZK 27, vom 10. August 2016 (Az. 327 O 318/16) abgeändert:
Im Wege der einstweiligen Verfügung - der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung - wird der Antragsgegnerin bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) verboten, in der Bundesrepublik Deutschland im geschäftlichen Verkehr das nachfolgend eingeblendete Schokoladenprodukt (...) ohne prozentuale Angabe der Kakaotrockenmasse in der verwendeten Schokolade anzubieten, zu bewerben und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder anbieten, in den Verkehr bringen und/oder bewerben zu lassen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Antragstellerin zur Last.
III. Der Beschwerdewert wird auf € 15.000,00 festgesetzt.
Entscheidungsgründe
A.
Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes aus Wettbewerbs- und Lebensmittelkennzeichnungsrecht auf Unterlassung in Anspruch, und zwar im Hinblick auf einen Verstoß gegen die Kennzeichnungspflichten nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 der Kakaoverordnung (KakaoV).
Die Parteien sind Wettbewerber bei der Herstellung und dem Vertrieb von Lebensmitteln. Die Antragsgegnerin vertreibt unter anderem die streitgegenständlichen Pflaumen-Pralinen. Auf dem Verpackungsetikett ist u. a. angegeben, dass das Produkt zu 31 % aus Schokolade besteht. Angaben zum prozentualen Anteil der Kakaotrockenmasse in der verwendeten Schokolade oder in dem Gesamtprodukt werden dort nicht gemacht.
Diesbezüglich hat die Antragstellerin die Antragsgegnerin mit Anwaltsschreiben vom 8. Juli 2016 abmahnen lassen. Die Antragsgegnerin ließ die geltend gemachten Ansprüche mit Schreiben vom 15. Juli 2016 zurückweisen (Anlage ASt 4) und hinterlegte beim Landgericht Hamburg - ebenfalls am 15. Juli 2016 - eine entsprechende Schutzschrift (Az. 396 AR 365/16).
Nachfolgend hat die Antragstellerin den vorliegenden Verfügungsantrag vom 22. Juli 2016 gestellt.
Die Antragstellerin hat die Ansicht vertreten, dass die Kennzeichnung des streitgegenständlichen Produkts einen Verstoß gegen § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV darstelle. Die Angabe des Gesamtgehalts an Kakaotrockenmasse sei nicht nur dann erforderlich, wenn die Schokolade das Enderzeugnis darstelle, sondern auch dann, wenn sie als Zutat für andere Enderzeugnisse, z. B. Pralinen, verwendet werde. In diesem Falle ergebe sich die Kennzeichnungspflicht aus § 3 Abs. 4 Nr. 1, Anlage 1 Nr. 3 der KakaoV. Die Antragsgegnerin sei daher verpflichtet, den prozentualen Anteil der Kakaotrockenmasse anzugeben, und zwar bezogen auf die verwendete Schokolade, nicht auf das Gesamtprodukt.
Die Antragstellerin hat beantragt,
der Antragsgegnerin bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verbieten,
in der Bundesrepublik Deutschland im geschäftlichen Verkehr das nachfolgend eingeblendete Schokoladenprodukt
(...)
(...)
(...)
ohne prozentuale Angabe der Kakaotrockenmasse in der verwendeten Schokolade anzubieten, zu bewerben und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder anbieten, in den Verkehr bringen und/oder bewerben zu lassen.
Das Landgericht Hamburg hat den Verfügungsantrag mit Beschluss vom 10. August 2016, Az. 327 O 318/16, zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um Pralinen, also ein Erzeugnis nach Nr. 10 der Anlage 1 der KakaoV handele, welche in der Aufzählung gemäß § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV nicht genannt würden. Die Regelung des § 3 Abs. 4 KakaoV gelte nur, wenn die dort genannten Erzeugnisse Endprodukte, nicht jedoch wenn sie lediglich Zutaten von Enderzeugnissen seien.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 30. August 2016.
Zur Begründung führt sie ergänzend aus, dass sowohl die Europäische Kommission als auch der deutsche Verordnungsgeber davon ausgingen, dass die Verpflichtung zur Kennzeichnung auch für Kakao- und Schokoladenprodukte bestehe, die als Zutaten von Lebensmitteln verwendet würden. Insoweit beruft sich die Antragstellerin auf einen Auslegungsvermerk der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2001 (Anlage ASt 6/B. 1/FK D (2001) AGRI/02/61354_de) und die Bundesrats-Drucksache Nr. 760/03 vom 16. Oktober 2003 (Anlage ASt 7).
Der Umstand, dass Erzeugnisse nach Anlage 1 Nr. 10 der KakaoV, also Pralinen, in der Auflistung nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV nicht aufgeführt seien, stehe dem nicht entgegen. Da Pralinen nur zu mindestens 25% des Gesamtgewichts aus Schokolade bestehen müssten, also mit bis zu 75% aus anderen Zutaten bestehen könnten, sei die Angabe des Gesamtgehalt an Kakaotrockenmasse im Enderzeugnis nicht geeignet, Aussagen über die Qualität der verwendeten Schokolade zu machen. Vielmehr stelle Schokolade, die als Zutat eines Lebensmittels verwendet werde, selbst ein Erzeugnis nach Anhang 1 Nr. 3 der KakaoV dar, so dass gemäß § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV der Gesamtgehalt an Kakaotrockenmasse, und zwar bezogen (nur) auf den verwendeten Schokoladenanteil anzugeben sei.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 10. August 2016 abzuändern und die einstweilige Verfügung nach Maßgabe des Antrags vom 22. Juli 2016 zu erlassen.
Die Antragsgegnerin beantragt nach ihrem Vorbringen in der Beschwerdeinstanz,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung weist sie darauf hin, dass Erzeugnisse gemäß Anlage 1 Nr. 10 der KakaoV, also Pralinen, in der Auflistung von § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV nicht genannt würden. Daraus ergebe sich, dass es nicht erforderlich sei, den Gesamtgehalt an Kakaotrockenmasse bei Pralinen anzugeben. Die Regelung von § 3 Abs. 4 KakaoV sei zudem als Ausnahmevorschrift gegenüber den allgemeinen Regeln der Lebensmittelkennzeichnung einer ergänzenden Auslegung oder analogen Anwendung nicht zugänglich.
Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.
B.
Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 30. August 2016 gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 10. August 2016 ist begründet.
I.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist gemäß §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1, 3 a UWG i. V. m. § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV begründet.
1.
Mit dem geltend gemachten Unterlassungsantrag verlangt die Antragstellerin die Unterlassung des Anbietens, Inverkehrbringens und/oder der Bewerbung des im Antrag konkret abgebildeten Produkts, solange in diesem Zusammenhang keine Angaben dazu aufweist, wieviel Prozent Kakaotrockenmasse die für das Produkt verwendete Schokolade enthält.
2.
Die Parteien sind Mitbewerber i. S. von §§ 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Dies steht zu Recht nicht in Streit, denn beide vertreiben Lebensmittel. Bei § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV handelt es sich zudem um eine marktverhaltensregelnde Norm i. S. von § 3 a UWG.
3.
Der Unterlassungsanspruch ist gemäß §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1, 3 a UWG i. V. m. § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV begründet.
Die Kennzeichnung der streitgegenständlichen Pflaumen-Pralinen muss - entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin - die verlangte Angabe zum prozentualen Anteil der Kakaotrockenmasse in der verwendeten Schokolade enthalten.
Nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV muss die Kennzeichnung - zusätzlich zu den nach der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung (LMKV) vorgeschriebenen Angaben - bei Erzeugnissen nach Anlage 1 Nr. 2 Buchstabe c und d, Nr. 3 bis 5, 8 und 9 KakaoV den Gesamtgehalt an Kakaotrockenmasse durch den Hinweis „Kakao: …% mindestens” enthalten.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Kennzeichnungspflicht gemäß § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV auch dann gilt, wenn eines der dort ausdrücklich aufgeführten Erzeugnisse, hier: Schokolade (vgl. Anlage 1 Nr. 3 KakaoV), nicht als Enderzeugnis, sondern lediglich als Zutat in einem anderen Kakao- oder Schokoladen-Erzeugnis verwendet wird.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die Kennzeichnungspflicht nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV auch dann besteht, wenn eines der in der Norm aufgeführten Kakao- und Schokoladenerzeugnisse (hier: Schokolade nach Anlage 1 Nr. 3 KakaoV) lediglich als Zutat eines anderen Kakao- oder Schokoladen-Erzeugnis verwendet wird. Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass die Kennzeichnungspflicht nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV nur bezüglich der in der Norm ausdrücklich aufgeführten Kakao- und Schokoladenerzeugnisse, und zwar als Endprodukte, bestehe.
a) Im Wortlaut der Norm des § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV ist lediglich von „Erzeugnissen“ die Rede, ohne dass insoweit zwischen Enderzeugnissen bzw. Endprodukten einerseits und Zutaten andererseits unterschieden würde. Nach § 1 KakaoV, der den Anwendungsbereich der KakaoV regelt, unterliegen die in der Anlage 1 aufgeführten Kakao- und Schokoladenerzeugnisse dem Anwendungsbereich der KakaoV, soweit sie dazu bestimmt sind, als Lebensmittel gewerbsmäßig in den Verkehr gebracht zu werden. Es wird mithin allein auf den beabsichtigten Vertrieb als Lebensmittel abgestellt, der hier sowohl für das Endprodukt „Pralinen“ als auch für die Zutat „Schokolade“ vorliegt.
Gemäß Art. 2 der VO (EG) Nr. 178/2002 sind „Lebensmittel“ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden, und zwar auch alle Stoffe - einschließlich Wasser -, die dem Lebensmittel bei seiner Herstellung oder Ver- oder Bearbeitung absichtlich zugesetzt werden. Die Verwendung als Lebensmittel ist vorliegend sowohl für das Endprodukt „Pralinen“ als auch für die Zutat „Schokolade“ zu erwarten.
Der Begriff des „Erzeugnisses“ wird in der KakaoV sowohl für Endprodukte als auch für Zutaten von Endprodukten verwendet. So wird beispielsweise in Anlage 1 Nr. 7 KakaoV die „gefüllte Schokolade“ als „gefülltes Erzeugnis, dessen Außenschicht aus einem der unter den Nummern 3, 4, 5 und 6 beschriebenen Erzeugnisse besteht“ definiert. Also wird nicht nur das Endprodukt, nämlich die gefüllte Schokolade, sondern auch die für dessen Herstellung als Zutat verwendete Schokolade nach Anlage 1 Nr. 3 KakaoV als „Erzeugnis“ bezeichnet.
Mithin werden nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV sowie nach der Verwendung des Begriffs „Erzeugnis“ in weiteren Regelungen der KakaoV unter Erzeugnissen sowohl Endprodukte als auch Zutaten von Endprodukten verstanden. Das spricht dafür, dass die Norm des § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV, die auf „Erzeugnisse“ abstellt, für beide Arten von Erzeugnissen gilt. Die Kennzeichnungspflicht des § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV besteht demnach auch dann, wenn das in der Norm ausdrücklich genannte Erzeugnis, hier: Schokolade nach Anlage 1 Nr. 3 KakaoV, lediglich als Zutat eines anderen Kakao- oder Schokoladen-Erzeugnisses, hier: Pralinen nach Anlage 1 Nr. 10 KakaoV, verwendet wird.
b) Zu diesem Ergebnis führt auch die systematische Betrachtung der Norm des § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV, d. h. die Berücksichtigung ihrer Stellung im Rahmen der weiteren Regelungen der KakaoV.
Diese Betrachtung zeigt, dass die in § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV im einzelnen aufgeführten Kakao- und Schokoladenprodukte solche sind, bei denen die Angabe zum Gesamtgehalt der in ihnen enthaltenen Kakaotrockenmasse klare Schlüsse auf die Qualität der verwendeten Schokolade erlaubt (unten aa]), während dies bei den dort nicht aufgeführten Kakao- und Schokoladenprodukten nicht der Fall ist, weil sie entweder ohnehin nur Kakaobutter, nicht jedoch fettfreie Kakaotrockenmasse, enthalten (unten bb]) oder weil die Angabe des Gehalts an Kakaotrockenmasse für das Gesamtprodukt als Qualitätsangabe für die verwendete Schokolade weitgehend ungeeignet ist (unten cc]). Auch der Blick auf weitere Normen der KakaoV zeigt, dass diese, wenn sie von „Erzeugnissen“ spricht, sowohl Gesamterzeugnisse auch Schokolade als auch solche meint, bei denen Schokolade als Zutat Verwendung findet (unten cc]).
Der Umstand, dass die Erzeugnisse gefüllte Schokolade und Pralinen (Anlage 1 Nrn. 7 und 10 KakaoV) in der Norm des § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV nicht genannt werden, erlaubt deshalb lediglich den Schluss, dass die Angabe zur Gesamtkakaotrockenmasse nicht in Bezug auf die genannten Gesamterzeugnisse, nämlich gefüllte Schokolade und Pralinen erfolgen muss (a. A. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, EL 128, März 2007, § 3 KakaoV Rn. 58, 61). Ihm kann jedoch nicht entnommen werden, dass auch keine Verpflichtung zur Angabe der Gesamtkakaotrockenmasse in Bezug auf den verwendeten Schokoladenanteil (Anlage 1 Nr. 3 KakaoV) besteht.
aa) Nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV muss die Kennzeichnung - zusätzlich zu den nach der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung (LMKV) vorgeschriebenen Angaben - bei Erzeugnissen nach Anlage 1 Nr. 2 Buchstabe c und d, Nr. 3 bis 5, 8 und 9 den Gesamtgehalt an Kakaotrockenmasse durch den Hinweis „Kakao: …% mindestens” enthalten. Die Gesamtkakaotrockenmasse, d. h. die Gesamtheit der Anteile aus der Kakaobohne ohne das darin enthaltene Wasser, setzt sich nach Anlage 1 Nr. 3 a KakaoV aus Kakaobutter und fettfreier Kakaotrockenmasse zusammen.
In der Aufzählung nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV werden die Erzeugnisse Schokoladenpulver (Anlage 1 Nr. 2 c KakaoV), Trinkschokoladenpulver (Anlage 1 Nr. 2 d KakaoV), Schokolade (Anlage 1 Nr. 3 KakaoV), Milchschokolade (Anlage 1Nr. 4 KakaoV), Haushaltsmilchschokolade (Anlage 1 Nr. 5 KakaoV), Chocolate al la taza (Anlage 1 Nr. 8 KakaoV) und Chocolate familiar al la taza (Anlage 1Nr. 9 KakaoV) genannt. Diese Erzeugnisse müssen nach den vorgenannten Begriffsbestimmungen der Anlage 1 der KakaoV jeweils einen bestimmten Mindestgehalt an Gesamtkakaotrockenmasse, bestehend aus bestimmten Mindestgehalten an Kakaobutter und fettfreier Kakaotrockenmasse, enthalten.
Die Angabe zur Gesamtkakaotrockenmasse erlaubt in diesen Fällen Schlüsse auf die Qualität der verwendeten Schokolade und dient so der zutreffenden Information der Verbraucher (vgl. Erwägungsgrund 8 der RL 2000/36/EG/Anlage ASt 5; Auslegungsvermerk der EU-Kommission (2001), S. 2/Anlage ASt 6). Zweck der Vorschrift ist es, den Verbraucher bei den Kakao- und Schokoladenerzeugnissen über den Anteil der charakteristischen Zutat, nämlich den Kakaobestandteil zu unterrichten (Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, EL 128, März 2007, § 3 KakaoV Rn. 57).
bb) Nicht genannt werden in § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV hingegen die Erzeugnisse Kakaobutter (Anlage 1 Nr. 1 KakaoV), Kakaopulver und Kakao (Anlage 1 Nr. 2 a KakaoV), fettarmes oder mageres Kakaopulver bzw. fettarmer oder magerer Kakao (Anlage 1 Nr. 2 b KakaoV), weiße Schokolade (Anlage 1 Nr. 6 KakaoV), gefüllte Schokolade (Anlage 1 Nr. 7 KakaoV), und Pralinen (Anlage 1 Nr. 10 KakaoV).
(1) Für die Erzeugnisse nach Anlage 1 Nrn. 1, 2a, 2b und 6 KakaoV kann ein Gesamtgehalt an Kakaotrockenmasse schon deshalb nicht angegeben werden, weil sie definitionsgemäß lediglich den Bestandteil Kakaobutter, nicht jedoch den Bestandteil fettfreie Kakaotrockenmasse enthalten.
(2) Für die Erzeugnisse gefüllte Schokolade (Anlage 1 Nr. 7 KakaoV) und Pralinen (Anlage Nr. 10 KakaoV), die lediglich zu mindestens 25% aus Schokolade, Milchschokolade, Haushaltsmilchschokolade oder weißer Schokolade bestehen müssen, wäre die Angabe des Gesamtgehalts der Kakaotrockenmasse in dem Erzeugnis gefüllte Schokolade bzw. Pralinen - bezogen auf das gesamte Produkt, einschließlich der Füllung - im Hinblick auf die Qualität der verwendeten Schokolade nahezu aussagelos, weil die Angabe des Gesamtgehalts an Kakaotrockenmasse keine Rückschlüsse auf die Qualität gerade der verwendeten Schokolade zuließe. Dies ist der Grund dafür, dass Angaben zum Gesamtgehalt der Kakaotrockenmasse im Gesamterzeugnis nicht verlangt werden.
cc) Dieses Verständnis der Norm des § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV steht zudem im Einklang mit § 2 Abs. 4 KakaoV. Danach werden die Anteile derjenigen Zutaten, für die nach der Anlage 1 der KakaoV definitionsgemäß ein Mindestgehalt vorgeschrieben ist, nach Abzug des Gewichts der gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 KakaoV erlaubten weiteren Zutaten, nämlich Getreidemahlerzeugnisse, Stärken und Aromen, sowie - bei gefüllter Schokolade und Pralinen - nach Abzug des Gewichts der Füllung berechnet. Die Berechnung erfolgt mithin nicht bezogen auf das Gesamtprodukt, sondern nur bezogen auf diejenigen Bestandteile, die die Klassifizierung des Produkts als Kakao- und Schokoladenprodukt ausmachen. Die Regelung von § 2 Abs. 4 KakaoV hat zwar nicht die hier streitgegenständliche Berechnung des Gesamtgehalts an Kakaotrockenmasse nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV, sondern die Berechnung der gemäß Anlage 1 KakaoV erforderlichen Mindestgehalte einzelner Bestandteile der verschiedenen Kakao- und Schokoladenprodukte zum Gegenstand. Sie zeigt jedoch, dass die KakaoV maßgeblich auf diejenigen Bestandteile abstellt, die die Klassifizierung des Produkts als Kakao- und Schokoladenprodukt ausmachen. Bei den hier streitgegenständlichen Pralinen ist dies nicht das Gesamterzeugnis, sondern der verwendete Schokoladenanteil.
dd) Entgegen der Ansicht des Landgerichts führt die Herausnahme von Pralinen aus der Aufzählung der Erzeugnisse in § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV auch nicht dazu, dass diese Regelung bzgl. Pralinen faktisch leerlaufen würde. Sie entbindet den Anbieter des Schokoladenerzeugnisses immerhin von der Pflicht zur Angabe des auf das Gesamterzeugnis bezogenen Gehalts an Kakaotrockenmasse.
c) Diese Auslegung der Norm steht im Einklang mit dem Willen des deutschen Verordnungsgebers.
Im Rahmen des Erlasses der KakaoV ist - unter Bezugnahme auf den Auslegungsvermerk der Europäischen Kommission zur Richtlinie 2000/36/EG (Ast 6) - ausgeführt worden (ASt 7), dass der Gesamtgehalt an Kakaotrockenmasse als Merkmal für die Qualität des „reinen“ Schokoladenanteils von Erzeugnissen zu betrachten sei. Daher habe die Angabe bezogen auf den „reinen“ Schokoladenanteil und nicht bezogen auf das Gesamterzeugnis zu erfolgen. Mithin ist der deutsche Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die Norm des § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV auf Pralinen anwendbar ist, allerdings mit der Maßgabe, dass der Gesamtgehalt an Kakaotrockenmasse nicht bezogen auf das gesamte Produkt, d. h. die Pralinen, sondern lediglich bezogen auf den reinen Schokoladenanteil der Pralinen anzugeben ist.
d) Diese Auslegung steht auch im Einklang mit der Regelung von Art. 3 Nr. 3 der Richtlinie 2000/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.06.2000 über Kakao- und Schokoladeerzeugnisse für die menschliche Ernährung (RL 2000/36/EG), die mit der KakaoV in deutsches Recht umgesetzt werden sollte.
aa) Art. 3 Nr. 3 der RL 2000/36/EG lautet:
„Auf dem Etikett der in Anhang I unter Abschnitt A Nummer 2 Buchstaben c) und d) und Nummern 3, 4, 5, 8 und 9 beschriebenen Kakao- und Schokoladeerzeugnisse ist der Gesamtgehalt an Kakaotrockenmasse wie folgt anzugeben: 'Kakao: … % mindestens'“.
Die Regelung des Art. 3 Abs. 3 RL 2000/36/EG ist nahezu wortgleich mit § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV.
Nach dem zu Art. 3 Abs. 3 RL 2000/36/EG erstellten Auslegungsvermerk der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2001, der für die Auslegung der auf der Grundlage der Richtlinie ergangenen KakaoV zu berücksichtigen ist, sind Schokoladenbestandteile (von Lebensmitteln) selbst Erzeugnisse und als solche in Art. 3 Nr. 3 RL 2000/36/EG aufgelistet. Daraus ergibt sich nach Ansicht der Europäischen Kommission, dass die Gesamtkakaotrockenmasse (nur) bezogen auf die Kakao- und Schokoladenbestandteile, nicht jedoch bezogen auf das Gesamterzeugnis anzugeben sei (Anlage ASt 6).
bb) Der Antragsgegnerin ist nicht darin zu folgen, dass der Auslegungsvermerk lediglich Schokoladenprodukte beträfe, die weitere Zutaten enthalten (Anhang I Abschnitt B Richtlinie 2000/36/EG; § 2 Abs. 1 Nr. 2 KakaoV). Die Kommission weist vielmehr unter Zif. 4 und 5 des Auslegungsvermerks darauf hin, dass auch Schokoladenbestandteile eines Gesamterzeugnisses im Sinne des Anhangs I, Abschnitt A Nummer 2 Buchstaben c und d) sowie Nummern 3, 4, 5, 8 und 9 der Richtlinie 2000/36/EG Erzeugnisse im Sinne der Richtlinie sind, deren Gesamtkakaotrockenmasse als „Kakao: …% mindestens“ anzugeben sind. Dass dies am Beispiel von Haselnussschokolade illustriert worden ist, ändert nichts an der grundlegenden Notwendigkeit den Kakaotrockenmassengehalt auch bezogen auf nur ein als Zutat verwendetes Schokoladenerzeugnis anzugeben.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist nach allem gemäß §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1, 3 a UWG i. V. m. § 3 Abs. 4 Nr. 1 KakaoV begründet.
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 30. August 2016 ist daher der Beschluss des Landgerichts Hamburg, ZK 27, vom 10. August 2016 (Az. 327 O 318/16) abzuändern und die beantragte einstweilige Verfügung zu erlassen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
III.
Die Festsetzung des Beschwerdewerts erfolgt nach § 3 ZPO.