Haftung eines Host-Providers für Drittäußerungen nur bei konkreter Beanstandung

Oberlandesgericht Dresden

Beschluss v. 22.07.2020 - Az.: 4 U 652/20

Leitsatz

1. Die Haftung des Hostproviders als mittelbarer Störer setzt eine konkrete Beanstandung seitens des Betroffenen voraus; hierfür genügt der Hinweis auf eine behauptete "Diffamierung" nicht.

2. Die nach der Löschung eines Bewertungstextes allein verbleibende Bewertung in Form von "Sternen" ist als Meinungsäußerung des Nutzers bis zur Grenze der Schmähkritik geschützt; hierauf kann sich auch der Hostprovider gegenüber Dritten berufen. Unterhalb dieser Grenze kommt eine Löschung dieser Bewertung nur in Betracht, wenn feststeht, dass der Bewertung kein geschäftlicher Kontakt zugrunde liegt.

Tenor

In dem Rechtsstreit (...)

wegen Forderung

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch (...) ohne mündliche Verhandlung am 22.07.2020 beschlossen:


1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2.  Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 04.08.2020 wird aufgehoben.
 

Entscheidungsgründe

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Kläger keinen Anspruch auf Unterlassung nach §§ 823 Abs. 1, 824, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG hat. Eine Haftung der Beklagten, die als Hostproviderin u.a. die website www.XXX.de unterhält und dort Beiträge von fremden Nutzern zum Zwecke des Abrufs speichert, ist auch unter dem Gesichtspunkt einer mittelbaren Störerhaftung, die im Berufungsverfahren allein im Streit steht, nicht begründet.


Die Haftung eines Hostproviders als mittelbarer Störer setzt die Verletzung von Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten, voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als mittelbaren Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen des Einzelfalls eine Verhinderung der Verletzung zuzumuten ist (vgl. BGH, Urteile vom 25. Oktober 2011 - VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 Rn. 22 - Blog-Eintrag; vom 30. Juni 2009 - VI ZR 210/08, AfP 2009, 494 Rn. 18 - Domainverpächter; BGH, Urteile vom 17. August 2011 - I ZR 57/09, BGHZ 191, 19 Rn. 20 - Stiftparfüm; vom 17. Dezember 2010 - V ZR 44/10, AfP 2011, 156 Rn. 15; vom 1. April 2004 - I ZR 317/01, BGHZ 158, 343, 350 - Schöner Wetten; vom 11. März 2004 - I ZR 304/01, BGHZ 158, 236, 251 - Internetversteigerung I; vom 30. April 2008 - I ZR 73/05, NJW-RR 2008, 1136 Rn. 50 - Internetversteigerung III). Ist der Provider mit der Beanstandung eines Betroffenen konfrontiert, die so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer bejaht werden kann, ist eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag Verantwortlichen erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 01. März 2016 - VI ZR 34/15 -, BGHZ 209, 139-157, - jameda.de II - Rn. 22 - 34, - juris; BGH Urteil vom 25. Oktober 2011 - VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 Rn. 25 f. - Blog-Eintrag).

1. Vorliegend war die Beklagte auch nach Auffassung des Senats aufgrund der Email des Klägers vom 12. Februar 2019 (Anlage B1) nicht gehalten, weitere Ermittlungen anzustellen oder gar die beanstandete Nutzerbewertung zu löschen. Der unspezifische Hinweis auf eine angebliche Einschränkung bzw. Diffamierung von Persönlichkeitsrechten der Mitarbeiter des Klägers lässt bereits nicht erkennen, welche der Behauptungen des Nutzers der Kläger aus welchem Grund beanstanden will. Entgegen der Ansicht der Berufung war die Beanstandung auch nicht so konkret gefasst, dass ein Rechtsverstoß auf der Grundlage der dortigen Sachverhaltsschilderung unschwer hätte bejaht werden können. Insbesondere lässt sich der Email nicht entnehmen, dass der Kläger dort jeglichen Geschäftskontakt zu dem Nutzer „H     M    “ rundheraus in Abrede stellt. Bei einem yyy-geschäft, das wie der Geschäftsbetrieb des Klägers in erheblichem Ausmaß auf „Laufkundschaft“ setzt, reicht hierfür die Behauptung, ein Nutzer H     M     werde, „in meinen
Geschäftsunterlagen nicht geführt“ schon wegen der Möglichkeit eines Kundenbesuches ohne Voranmeldung nicht aus. Auch der Behauptung, der Nutzer habe „keine Angaben zu seinem Besuch machen“ können, lässt sich nicht entnehmen, dass der Nutzer niemals Kunde des Klägers gewesen sein soll; vielmehr lässt sie den Rückschluss zu, dass der Kläger selbst von einem solchen Kontakt ausgeht, die Vorwürfe im Detail jedoch anders bewertet.

Der weitere Hinweis des Klägers, er habe sich bereits selbst an den Nutzer gewandt, ohne - auch im Rahmen einer Mediation - eine Einigung erzielen zu können, spricht nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont ebenfalls dafür, dass der der Bewertung zugrunde liegende yyy-besuch letztlich zwischen den Beteiligten streitig geblieben ist. Mangels Einzelheiten zu dieser Tatsachengrundlage bleibt der gesamte Vorgang und damit der Rechtsverstoß in der E-Mail vom 12. Februar 20109 aber so unklar, dass ein Handeln der Beklagten jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboten war.

Entgegen der Ansicht des Klägers handelte es sich bei dem Nutzer „H    M    “ auch nicht um ein aufgrund sonstiger Umstände erkennbar gefälschtes Profil oder bei den von ihm abgegebenen Bewertungen um ein so auffälliges Bewertungsverhalten, dass bei einer allgemeinen Prüfung hinreichend Veranlassung für die Beklagte bestanden hätte, die Bewertung schon aus diesem Grund zu monieren.


2.  Ein Verstoß der Beklagten gegen die ihr obliegenden Handlungspflichten ist aber auch nicht im Ergebnis des von der Beklagten noch vor Eingang des Schreibens der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 20. Februar 2019 (Anlage K2) eingeleiteten Prüfungsverfahren festzustellen. Vielmehr war die Beklagte nicht verpflichtet, auch die nach der unstreitig erfolgten Löschung des Bewertungstextes durch den Nutzer nunmehr noch fortbestehende (isolierte) Ein-Stern-Bewertung zu löschen.

a)    Die Ein-Stern-Bewertung ist eine subjektive Einschätzung des Nutzers, die als Meinungsäußerung zu verstehen ist, denn sie ist geprägt von Elementen der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens (BGH, Urteil vom 01. März 2016 - VI ZR 34/15 - juris). Als Meinungsäußerung ist die Bewertung bis zur Grenze der Schmähkritik geschützt. Diese Grenze ist hier schon deshalb nicht überschritten, weil die Bewertung insgesamt nur die Sozialsphäre betrifft und keine persönliche Herabwürdigung enthält. Dass der Kunde den Geschäftskontakt mit nur noch einem Stern bewertet, mag geschäftsschädigend sein, ist jedoch als Ausfluss der Meinungsfreiheit auch dann hinzunehmen, wenn man davon ausgeht, dass die zu ihrer Begründung angeführten Tatsachenbehauptungen unwahr sind (vgl. Senat, Urteil vom 06. März 2018 - 4 U 1403/17 -, Rn. 27 - 28, juris, m.w.N.).

b)    Anders wäre dies nur dann, wenn der streitgegenständlichen Bewertung kein Kundenkontakt zugrunde gelegen hätte. Liegt einer angegriffenen Bewertung in einem Bewertungsportal kein geschäftlicher Kontakt zugrunde, überwiegt das von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG (auch in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG) und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Bewerteten am Schutz seiner sozialen Anerkennung und seiner (Berufs)Ehre die von Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK geschützten Interessen des Bewertenden an der Äußerung der dargestellten Meinung im Portal und des Portalbetreibers an der Kommunikation dieser Meinung, weil ein berechtigtes Interesse des Bewertenden, einen tatsächlich nicht stattgefundenen Geschäftskontakt zu bewerten, nicht ersichtlich ist; entsprechendes gilt für das Interesse eines Portalbetreibers, eine Bewertung über eine nicht stattgefundene Inanspruchnahme der angebotenen Dienstleistung zu kommunizieren (vgl. Senat, Urteil vom 06. März 2018 - 4 U 1403/17 -, Rn. 27 - 28, m.w.N.; juris). So liegt der Fall hier aber nicht. Der Kläger, der für seine Behauptung, ein Nutzer „H    M    “ habe seinen Salon niemals betreten und seine Dienstleistungen niemals in Anspruch genommen, die Beweislast trägt, hat diesen Beweis nicht geführt.


Ohne Erfolg macht der Kläger insoweit geltend, die Beklagte hätte einer ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht genügt, mit der Folge, dass das Fehlen eines geschäftlichen Kontaktes gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelte. Dem steht bereits entgegen, dass der Kläger selbst im Vorfeld der von der Beklagten durchgeführten Prüfung versucht hat, die näheren Umstände des der Bewertung zugrunde liegenden Sachverhalts mit dem Nutzer und darüber hinaus auch durch einen von ihm eingeschalteten Mediator aufzuklären, ohne indes die Einzelheiten seiner eigenen Nachprüfung der Beklagten mitzuteilen oder im Ergebnis das Fehlen eines Geschäftskontaktes gegenüber der Beklagten hinreichend nachvollziehbar und sicher belegen zu können. Angesichts der vom Nutzer in seiner Email vom 25.02.2019 (Anlage K4) mitgeteilten zahlreichen Einzelheiten des bewerteten yyy-besuchs spricht weder das Fehlen eines Kassenzettels oder sonstigen Belegs noch die geringe Differenz im Preis der Dienstleistung zwingend dafür, dass die behaupteten yyy-besuche nicht stattgefunden haben.

Der Senat hält es aufgrund dieser detaillierten Schilderung vielmehr für ohne weiteres plausibel, dass es sich bei dem Nutzer M    entweder um einen „Laufkunden“ ohne Reservierung gehandelt hat oder die Bewertung unter Pseudonym abgegeben wurde, was ohne weiteres zulässig ist und im Verhältnis zwischen Hostprovider und betroffenem Dritten auch nicht zu einer erweiterten sekundären Darlegungslast führt. Der Schutz einer „Ein-Stern-Bewertung“ als Meinungsäußerung setzt gerade nicht voraus, dass diese unter einem Klarnamen erfolgt, die Löschung einer solchen Bewertung ist vielmehr auch dann nur gerechtfertigt, wenn feststeht, dass zu dem sich hinter dem Pseudonym verbergenden Nutzer kein Geschäftskontakt bestanden hat, was auch aus den äußeren Umständen geschlossen werden kann.

Von dem Hostprovider, der im Prüfungsverfahren nicht über übergeordnete Erkenntnismöglichkeiten verfügt, kann aber nicht verlangt werden, als Ausfluss einer sekundären Darlegungslast zunächst einen solchen Kundenkontakt zu substantiieren oder ansonsten die Bewertung zu löschen. Für eine darin liegende Umkehr der Beweislast besteht kein Bedürfnis, weil allein aus der Bewertung aus Sicht des durchschnittlichen Nutzers noch nicht der Rückschluss gezogen werden kann, dass durch den Dienstleister überhaupt keine Leistung erbracht wurde, die Frage des Geschäftskontaktes mithin nicht Bestandteil der die Äußerung konstituierenden Tatsachenbehauptungen ist (vgl. Senat, a.a.O. m.w.N.). Ob der Fall anders liegt, wenn eine Bewertung von vornherein ohne jegliche Tatsachengrundlage erfolgt und so substanzlos ist, dass sie keinen Rückschluss auf einen Kundenkontakt erlaubt, kann vorliegend dahinstehen, weil der Fall hier ersichtlich anders liegt.


Das von der Beklagten durchgeführte Prüfungsverfahren ist auch im übrigen nicht zu beanstanden, da die Beklagte die Beanstandung des Klägers mit der Email vom 18.02.2019 (Anlage B3) an den Nutzer weitergeleitet und ihn dazu aufgeforderte hat, den der Bewertung zugrunde liegenden Sachverhalt möglichst umfassend und unter Vorlage von Belegen darzustellen. Die hierauf vom Nutzer übersandte Stellungnahme hat sie ebenfalls unverzüglich an den Kläger weitergeleitet (Anlage K4). Mehr kann im Rahmen des notice-and-take-down Verfahrens von ihr aber nicht verlangt werden.

Der Senat rät daher zur Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.