Abwehranspruch gegen unberechtigte fristlose Kündigung des Telekommunikations-Vertrages

Landgericht Hamburg

Urteil v. 28.11.2018 - Az.: 319 O 265/18

Leitsatz

Abwehranspruch gegen unberechtigte fristlose Kündigung des Telekommunikations-Vertrages

Tenor

1. Im Wege der einstweiligen Verfügung wird der Verfügungsbeklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, aufgegeben, die unter den Kundennummern (...) bzw. (...), Vertragsnummer (...) laufenden Verträge zu erfüllen, indem die dem (jeweiligen) Vertrag zugrundeliegenden Leitungen ((DeutschlandLAN SIP-Trunk (...), DeutschlandLAN IP Voice/Data S (...), DeutschlandLAN IP Start Premium (...), DeutschlandLAN IP Start (...), BCA Business Call Standard As (...), BCA Business Call Advance (...), DeutschlandLAN Connect L, DeutschlandLAN Connect L (Zweitanbindung), EthernetConnect)) freigeschaltet bleiben oder wieder freigeschaltet werden bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist.

2. Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 8.218,28 € festgesetzt.

Sachverhalt

Die Verfügungsklägerin ist die Bank M. I., die mit Sitz in H. eine Zweigniederlassung unterhält.

Zwischen ihr und der Verfügungsbeklagten besteht ein Vertrag über die Kommunikationsdienstleistungen mit der Kundennummer (...) und (...) u.a. über eine Festnetznummer, IP Voice, IP Start Premium und IP Start sowie über Internetverbindungen. Auf die Antragsschrift vom 21.11.2018 wird insoweit Bezug genommen. Die monatlichen Kosten betragen ca. 2.054,57 €. Die Verfügungsklägerin kam bislang ihren Zahlungsverpflichtungen stets nach.

Mit Wirkung vom 05.11.2018 sind gegen den Iran weitere US-Sanktionen in Kraft getreten, von denen auch die Verfügungsklägerin betroffen ist. Innerhalb der EU bestehen keine Sanktionen; vielmehr hat die Europäische Union ein sog. „Abwehrgesetz“ (Verordnung (EG) Nr. 2271/96 vom 22.11.1996 in der Fassung der Delegierten Verordnung (EU) 2018/1100 vom 6.6.2018) erlassen, um europäische Unternehmen vor den Folgen der US-Sanktionen gegen den Iran zu schützen. Aufgrund der US-Sanktionen ist die Verfügungsklägerin mit Wirkung vom 12.11.2018 von dem im internationalen Zahlungsverkehr wichtigen SWIFT-Netz suspendiert.

Mit Schreiben vom 16.11.2018 hat die Verfügungsbeklagte den streitgegenständlichen Vertrag mit sofortiger Wirkung fristlos gekündigt.

Die Verfügungsklägerin trägt vor, die fristlose Kündigung sei unwirksam, weil ein Recht zur fristlosen Kündigung nicht bestehe. Es gebe keinen Grund anzunehmen, sie werde ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. Zahlungen gegenüber der Verfügungsbeklagten würden direkt über das deutsche Geschäftskonto bewirkt, welches nicht von den Sanktionen betroffen sei und eine ausreichende Deckung aufweise.

Ihr Leistungsanspruch sei erheblich gefährdet. Sie habe in H. 35 Mitarbeiter. Durch die Abschaltung von Internet und Telefonie sei es ihr unmöglich, ihre Bankgeschäfte abzuwickeln; auch ihre Verwaltungsaufgaben könne sie nicht wahrnehmen. Ihr drohten erhebliche finanzielle Nachteile. Ein Anbieterwechsel sei nicht geboten und unzumutbar.

Die Verfügungsklägerin beantragt, der Verfügungsbeklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, aufgegeben, ihre vertraglichen Leistungen im Rahmen des hier bestehenden Rechtsverhältnisses, insbesondere die unter der Kundennummer (...) und Kundennummer (...), Vertragsnummer (...) laufenden Verträge, zu erbringen und sämtliche zwischen den Parteien bestehenden Verträge freigeschaltet zu lassen oder wieder freizuschalten.

Die Verfügungsbeklagte beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Verfügungsbeklagte trägt vor, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei bereits unzulässig, weil die Zweigniederlassung, die in der Antragsschrift als Antragsstellerin genannt ist, keine eigene Rechtspersönlichkeit besitze.

Im Übrigen habe sie das Recht zur fristlosen Kündigung gehabt. Wenn Banken das SWIFT-System nicht mehr nutzen könnten, habe dies erhebliche negative Auswirkungen auf ihre Geschäftstätigkeit. Daher sei davon auszugehen, dass die Verfügungsklägerin künftig nicht mehr in der Lage sein werde, ihre Verbindlichkeiten ihr gegenüber zu erfüllen.

Im Übrigen bestehe keine Dringlichkeit und handele es sich um eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war mit der tenorierten zeitlichen Einschränkung stattzugeben.

Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten ist der Antrag auch zulässig. Dieser ist allerdings zuzugeben, dass eine Zweigniederlassung an sich keine Rechtspersönlichkeit besitzt und auch nicht Partei eines Rechtsstreits sein kann (vgl. auch BGHZ 4, 62f). Vorliegend kann dahinstehen, ob die hiesige Niederlassung der Verfügungsklägerin eine selbständige Rechtspersönlichkeit aufweist oder nicht. Jedenfalls war der Vortrag der Verfügungsklägerin so auszulegen - auch wenn in der Antragsschrift vom 21.11.2018 als Antragsstellerin die Zweigniederlassung genannt ist -, dass sich dieser offensichtlich auf die dahinterstehende Rechtspersönlichkeit bezieht. Die Benennung der Filiale kann in der Regel als unschädliche ungenaue Parteibezeichnung qualifiziert werden; Partei ist dann in Wahrheit der Unternehmensträger selbst (Münchener Kommentar-Lindacher, ZPO, 4. Auflage, § 50, Rn. 39). Der Unternehmensträger kann unter der Firma der Zweigniederlassung klagen und verklagt werden (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 31. Auflage, § 50, Rn. 26a). So ist die streitgegenständliche Antragsschrift zu verstehen. Im Rubrum des Schriftsatzes ist die Bank M. I., Zweigniederlassung H. aufgeführt. Auch die eingereichten Anlagen (Rechnung und Kündigungsschreiben) richten sich gegen die BANK M. I. unter der Anschrift H. ... in H.. Der Beschluss des Hanseatischen OLG vom 7.12.2009 (3 W 103/09) steht dem nicht entgegen. Es handelt sich bei der Frage der Auslegung immer um eine solche des Einzelfalls.

Die Verfügungsklägerin hat zudem einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.

Nach Ansicht der Kammer ist die ausgesprochene fristlose Kündigung der Verfügungsbeklagten zu Unrecht erfolgt. Eine solche Kündigung würde nur dann wirksam sein, wenn es einen wichtigen Grund im Sinne des § 314 BGB gebe und auch eine vorherige Abmahnung entbehrlich mache.

Einen solchen Grund hat die Verfügungsbeklagte nicht hinreichend dargelegt. Einen wichtiger Grund ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrages für den Kündigenden unzumutbar machen. Im Allgemeinen müssen die Kündigungsgründe im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen (Palandt-Grüneberg; 76. Auflage, § 314, Rn. 7 m.w.N.).

Ein solcher Grund könnte die Zahlungsunfähigkeit der Verfügungsklägerin sein. Die Folgen der US-Sanktionen sind zwar eher im Risikobereich der Verfügungsklägerin zu sehen als der Verfügungsbeklagten. Allerdings hat die Verfügungsbeklagte es nicht glaubhaft im Sinne des § 294 ZPO gemacht, dass die Zahlungsunfähigkeit der Verfügungsklägerin gegeben ist. Allein aufgrund des Umstandes der Suspendierung vom SWIFT-Netz folgt diese jedenfalls nicht. Auch in dem streitgegenständlichen Kündigungsschreiben der Verfügungsbeklagten ist nur allgemein ausgeführt, dass „man davon ausgehen müsse, dass Sie keine Zahlungen mehr bewirken und somit Ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können“. Unstreitig ist die Verfügungsklägerin ihren Zahlungsverpflichtungen immer nachgekommen. Die Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, die Abwicklung des hiesigen Vertrages erfolge über ihr deutsches Geschäftskonto, was auch über ausreichend Deckung verfüge. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die monatlichen Kosten in einem überschaubaren Rahmen halten. Zudem hat sie dargetan, wie sie auch ohne Teilnahme am SWIFT-Netz in der Lage ist, Überweisungen zu tätigen. Grundsätzlich sind auch Barzahlungen denkbar.

Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten hat die Verfügungsklägerin auch nicht angekündigt, nicht mehr zu leisten. Bei dem eingereichten Presseartikel handelt es sich um eine Aussage des Geschäftsführers der Niederlassung der Verfügungsklägerin, dass man „fast lahmgelegt“ sei; die in dem Artikel zitierte Passage soll in einem Schreiben an die Bundesbank zu finden sein, welches jedoch dem Gericht nicht vorliegt. Es kann dahinstehen, ob die zitierte Passage tatsächlich gegenüber der Bundesbank so formuliert worden ist. Das Schreiben und etwaige Aussagen dienten offensichtlich der Verdeutlichung der Dringlichkeit des Anliegens der Verfügungsklägerin. Gegenüber der Verfügungsbeklagten hat die Verfügungsklägerin jedenfalls unstreitig nicht die Einstellung ihrer Zahlungsverpflichtungen angekündigt. Die Rechnung vom 2.11.2018 weist vielmehr ein Guthaben zu Gunsten der Verfügungsklägerin auf.

Es ist auch eine besondere Dringlichkeit im Sinne der §§ 937ff. ZPO gegeben. Dabei ist es im vorliegenden Fall unerheblich, dass ggf. die Hauptsache vorweg genommen wird. Eine Leistungsverfügung ist insbesondere bei einer Not/-Zwangslage oder Existenzgefährdung und in den Fällen zulässig, in denen die geschuldete Handlung so kurzfristig zu erbringen ist, dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist (Zöller-Vollkommer, ZPO, 31. Auflage, § 940, Rn. 6 m.w.N.). Diese Voraussetzungen hat die Verfügungsklägerin hinreichend dargetan. Es liegt auf der Hand, dass sie für ihre Geschäftstätigkeit auf den Zugang zu Internet und Telefon angewiesen ist. Dabei ist die Kammer davon ausgegangen, dass im Zuge dieses Eilverfahrens eine Befristung bis zum Ablauf der jeweiligen ordentlichen Kündigungsfrist angemessen erscheint. Die Fragen der Wirksamkeit einer etwaigen ordentlichen Kündigung und des Kontrahierungszwangs waren nicht Gegenstand dieses Eilverfahrens.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit war entbehrlich (Zöller-Vollkommer, 31. Auflage, ZPO, § 929; Rn. 1 m.w.N.).