Zum Opt-In bei fakultativen Zusatzleistungen bei Online-Flugbuchungen
Leitsatz
1. Wird ein User bei der Buchung von Online-Flugbuchungen über fakultative Zusatzleistungen in klarer und deutlicher Weise informiert und wird die Zustimmung und Ablehnung dieser Zusatzleistungen gleichwertig dargestellt, dann liegt keine Wettbewerbsverletzung vor.
2. Ein Wettbewerbsverstoß ist jedoch dann zu bejahen, wenn über die Zustimmung und Ablehnung nicht gleichwertig informiert wird.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 15.05.2013 verkündete Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt a.M. wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Entscheidungsgründe
I.
Die Beklagte, eine Fluggesellschaft, unterhält einen Internetauftritt, über den Flugtickets gebucht sowie ergänzend hierzu fakultativ Reiseversicherungen abgeschlossen werden können. Der Kunde kann den von ihm eingeleiteten Buchungsvorgang für ein Ticket nur fortsetzen, wenn er sich für oder gegen den Abschluss einer zusätzlichen Reiseversicherung entschieden hat. In der streitgegenständlichen Gestaltung des Internetauftritts musste der Nutzer die Entscheidung in der Weise treffen, dass er in einer sich öffnenden Drop down box mit der Überschrift „Wählen Sie ein Wohnsitzland” entweder eines der dort alphabetischer Reihenfolge aufgeführten Länder oder die - zwischen den Ländernamen „Latvia” und „Lithuania” eingeordnete - Angabe „Nicht versichern” anklickte. Die Klägerin, ein Verband zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, sieht hierin einen Verstoß gegen die sich aus Art. 23 I 4 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 ergebenden Informationspflicht.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß unter Androhung der Ordnungsmittel nach § 890 ZPO verurteilt, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Internet für Flugreisen in der Form zu werben und/oder werben zu lassen, dass ein Kunde im Rahmen des Buchungsvorgangs zum Abschluss eines fakultativ hinzubuchbaren Reiseversicherungsvertrages verleitet wird, indem er einer Aufforderung zu der Eingabe seines Wohnsitzlandes folgt und den Abschluss eines Reiserversicherungsvertrages nur durch Auswählen und Anklicken der Option „Nicht versichern” (Opt-out) umgehen kann, wenn dies geschieht wie in den Anlagen K3 - K7.
Weiter hat das Landgericht die Beklagte zur Erstattung der Abmahnkosten verurteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 I 1 ZPO).
Mit der gegen das Urteil eingelegten Berufung wiederholt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, steht der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 4 Nr. 11, 5a IV UWG i.V.m. Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 zu; der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten ergibt sich aus § 12 I 2 UWG.
1.
Die Art und Weise, wie in der angegriffenen konkreten Verletzungsform (Anlagen K 3 bis K 7 zur Klageschrift) dem Kunden die Möglichkeit eröffnet werden soll, ein Flugticket ohne gleichzeitigen Abschluss einer zugleich angebotenen Reiseversicherung zu buchen, ist mit den Anforderungen, die sich aus Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 an die Information über fakultative Zusatzkosten ergeben, nicht vereinbar.
a) Dies gilt nach Auffassung des erkennenden Senats allerdings nicht bereits deshalb, weil der Kunde im Rahmen der angegriffenen Verletzungsform den eingeleiteten Buchungsvorgang nicht fortführen kann, ohne sich aktiv dafür zu entscheiden, ob er eine zusätzliche Reiseversicherung abschließen will oder nicht. Eine solche Ausgestaltung des Buchungsvorgangs entspricht - als solche - insbesondere dem in Art. 23 I 4, letzter Halbsatz der VO(EG) Nr. 1008/2008 enthaltenen Erfordernis, dass die Annahme der fakultativen Zusatzleistung „auf ‚opt-in‘-Basis” erfolgen muss.
Die genannte Regelung ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. NJW 2012, 2867 - eBookers) auch auf solche Zusatzleistungen anwendbar, die - wie hier - von der Fluggesellschaft lediglich vermittelt werden.
Das „opt-in”-Erfordernis im Sinne von Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 will verhindern, dass der Verbraucher die Zusatzleistung allein deswegen bestellt, weil er die „opt-out”-Möglichkeit entweder übersehen oder sich mit ihr nicht näher beschäftigt hat. Stattdessen soll der Verbraucher eine bewusste und informierte Entscheidung darüber treffen, ob er die Zusatzleistung hinzubuchen will oder nicht. Dem wird eine Ausgestaltung des Buchungsvorgangs, bei dem der Verbraucher gezwungen wird, sich für oder gegen die Inanspruchnahme der Zusatzleistung zu entscheiden - d.h. die Buchungsvorgang ohne diese Entscheidung nicht fortsetzen kann - grundsätzlich gerecht. Denn auch in diesem Fall kann sichergestellt werden, dass die Hinzubuchung auf einer bewussten und informierten Entscheidung für die Zusatzleistung beruht. Eine andere Beurteilung käme nur dann in Betracht, wenn Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 den Unternehmer darüber hinaus verpflichten wollte, dem Verbraucher auch die Möglichkeit einer unbewussten Entscheidung gegen die Zusatzleistung - nämlich durch ein Übersehen der „opt-in”-Möglichkeit - zu eröffnen. Das kann jedoch weder der genannten Verordnung noch der genannten Entscheidung „eBookers” des Gerichtshofs der Europäischen Union (a.a.O.) entnommen werden.
b) Auch wenn demnach ein Buchungsvorgang, bei dem sich der Kunde für oder gegen die Inanspruchnahme der Zusatzleistung entscheiden muss, mit dem „opt-in”-Erfordernis des Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 grundsätzlich vereinbar ist, muss gleichwohl die konkrete Ausgestaltung dieses Buchungsvorgangs dem in der Regelung allgemeinen aufgestellten Grundsatz der Klarheit, Transparenz und Eindeutigkeit entsprechen. Nur wenn dem Nutzer bei der Buchung sowohl die Möglichkeit, sich für die Zusatzleistung zu entscheiden („opt-in”), als auch die Möglichkeit, die Buchung ohne Inanspruchnahme dieser Leistung fortzusetzen, im Sinne einer klaren und gleichwertigen Entscheidungsalternative vor Augen geführt wird, ist die erforderliche bewusste und informierte Entscheidung sichergestellt. Unvereinbar mit den Anforderungen des Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 ist dagegen eine Ausgestaltung des Buchungsvorgangs, bei dem eine Fortsetzung der Buchung ohne Inanspruchnahme der Zusatzleistung zwar möglich ist, dieser Weg jedoch schwerer aufzufinden ist als die Hinzubuchung der Zusatzleistung. Denn in diesem Fall besteht die Gefahr, dass der Nutzer die Zusatzleistung nur deswegen in Anspruch nimmt, weil er eine Alternative hierzu auf die Schnelle nicht findet und sich nicht der Mühe unterziehen will, hiernach weiter zu suchen.
Bei Anlegung dieses Maßstabs wird die Ausgestaltung des angegriffenen Buchungsvorgangs den sich aus Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 ergebenden Anforderungen bei weitem nicht gerecht.
Dem Nutzer wird die Orientierung darüber, welche Möglichkeiten ihm bei der Buchung offenstehen, schon durch die Überschrift „Kaufen Sie Ihre Reiseversicherung aus” in Anlage K 4 erschwert, die die Vermutung nahelegen könnte, der Fluggast habe nur die Wahl zwischen den darunter vorgestellten Versicherungsvarianten („Reiseversicherung” und der „Reiseversicherung plus”). Der weitere Hinweis „Wenn Sie schon versichert sind, bitte ‘Nicht versichern’ in der Drop down box wählen” ist nur kleingedruckt und unauffällig angebracht; zudem ist er auch inhaltlich insofern falsch, als es auch andere Gründe geben kann, vom Abschluss der angebotenen zusätzlichen Reiseversicherung abzusehen.
An einer klaren und gleichwertigen Entscheidungsalternative im oben dargestellten Sinn fehlt es aber vor allem, weil sich die Angabe „Nicht versichern”, die der Nutzer anklicken muss, wenn er ein Flugticket ohne zusätzliche Reiseversicherung wünscht, innerhalb einer mit „Wählen Sie ein Wohnsitzland” überschriebenen Drop down box zwischen den dort aufgeführten Ländernamen befindet (Anlage K 5). Diese Anordnung ist derart ungewöhnlich, dass auch ein verständiger und aufmerksamer Durchschnittsverbraucher - ungeachtet des bereits erwähnten weiteren Hinweises - den Weg zur Buchung des Flugtickets ohne Reiseversicherung nicht ohne weiteres auffinden wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Verbraucher sich bei der Buchung unter einem gewissen Zeitdruck sieht, weil er möglicherweise befürchten muss, dass ein besonders günstiger Flugpreis nur für kurze Zeit angeboten wird. Die streitgegenständliche Gestaltung des Internetauftritts ist letztlich darauf angelegt, dem Kunden die Fortsetzung des Buchungsvorgangs ohne Abschluss einer Reiseversicherung so zu erschweren, dass er sich - um die Buchung überhaupt durchführen zu können - notgedrungen zur Hinzubuchung dieser Zusatzleistung entschließt, auch wenn er an ihr kein Interesse hat.
2.
Der Verstoß gegen Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 stellt sich zugleich als unlautere geschäftliche Handlung (§ 3 I UWG) dar. Zum einen handelt es sich bei der genannten Vorschrift um eine Marktverhaltensregelung i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG; zum andern liegt eine Zuwiderhandlung gegen eine unionsrechtliche Informationspflicht vor, die gemäß § 5a II, IV UWG unlauter ist.
3.
Der sich aus dem Wettbewerbsverstoß ergebende Unterlassungsanspruch der Klägerin nach § 8 III Nr. 2 UWG ist weder verjährt noch verwirkt. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen werden; die Berufungsbegründung enthält insoweit keine neuen Argumente, mit denen sich das Landgericht nicht bereits auseinandergesetzt hätte. Die Wiederholungsgefahr ist - wie das Landgericht ebenfalls mit Recht angenommen hat - durch die inzwischen vorgenommene Änderung des Internetauftritts allein nicht beseitigt worden.
Der zuerkannte Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten ergibt sich aus § 12 I 2 UWG.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Im Hinblick auf den festgestellten eindeutigen Verstoß gegen Art. 23 I 4 der VO(EG) Nr. 1008/2008 wirft der Streitfall keine ernsthaften Zweifelsfragen über die Auslegung dieser Regelung auf, die ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (Art. 267 AEUV) erforderlich machen könnten. Auch die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 II ZPO) sind unter diesen Umständen nicht erfüllt.