Abmahnung Pixel Law: Eingeschränkte Anwendbarkeit von MFM-Tabelle bei Online-Foto-Klau
Leitsatz
1. Im Falle der unberechtigten Online-Übernahme eines Fotos ist die Tabelle der Mittelstandsvereinigung Fotomarketing (MFM-Tabelle) nur dann anwendbar, wenn der Rechteinhaber über eine entsprechende Lizenzierungspraxis verfügt. Gibt es keinerlei Anhaltspunkt für die Höhe, so kann ein Gericht den Schadensersatz in freiem Ermessen auf 100,- EUR schätzen.
2. Im Falle der Nichtnennung des Fotografen ist ein 100% Aufschlag zu gewähren.
Tenor
In dem Rechtsstreit (...) hat die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin in Berlin - Mitte, Littenstraße 12-17, 10179 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 09.07.2015 durch den Richter am Landgericht (...) für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, künftig zu unterlassen, die nachfolgend abgebildete Fotografie (...) oder Teile hieraus öffentlich zugänglich zu machen oder öffentlich zugänglich machen zu lassen, ohne aufgrund eines Nutzungs- oder Lizenzrechts hierzu berechtigt zu sein und ohne hierbei den Kläger als Urheber anzugeben, wenn dies wie nachfolgend abgebildet geschieht
(...)
2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 707,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Mai 2013 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 16 % und der Beklagte 84 % zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger hinsichtlich des Klageantrags zu 1.) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 6.000,-- € im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Sachverhalt
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen des öffentlichen Zugänglichmachens eines von ihm geschaffenen Fotos in abgewandelter Form – wie aus dem Urteilstenor ersichtlich – auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch.
Der Kläger ist Berufsfotograf, verfügt hinsichtlich der von ihm geschaffenen Fotos aber über keine einschlägige Lizenzierungspraxis. Vielmehr übt er seinen Beruf in erster Linie im Rahmen seiner Tätigkeit für die (...) GmbH aus, deren Gesellschafter er ist. Im Rahmen dieser Geschäftstätigkeit ist die Höhe der Lizenzgebühr für ein einzelnes Nutzungsrecht nicht gesondert ermittelbar.
Der Kläger schuf die Fotografie (...). Der Beklagte verwendete diese dergestalt in bearbeiteter Form auf seiner Internetseite (...), dass in der von ihm verwendeten Fassung auf dem abgebildeten Papier ein schwarzes Paragraphenzeichen hinzugefügt ist. Der Kläger hatte der Beklagten dafür ein Nutzungsrecht nicht eingeräumt. Die Beklagte hat den Kläger im Zusammenhang mit der Verwendung des Fotos auch nicht als dessen Urheber genannt.
Der Kläger ließ die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 29. April 2013 vergeblich zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, Zahlung von Schadensersatz und Erstattung der Ab- mahnkosten auffordern. Mit Schreiben vom 15. Mai 2013 setzte er zur Erfüllung der geltend gemachten Zahlungsansprüche eine Frist bis zum 29. Mai 2013.
Der Kläger behauptet, der Beklagte habe das Foto seit mindestens 2007 genutzt. Nach den Honorarempfehlungen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing (MFM-Empfehlungen) sei dafür ein Nutzungsentgelt in Höhe von 697,50 € angemessen, das für die fehlende Urheberbenennung um 100 % zu erhöhen sei. Die MFM-Empfehlungen seien eine taugliche Grundlage für die Bemessung einer angemessenen Lizenzgebühr und zwar auch und gerade für die Fälle, in denen - wie vorliegend – eine Lizenzierungspraxis des Rechteinhabers tatsächlich nicht bestünde.
Er meint, die Beklagte habe ihm die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nach einem Gegenstandswert „bis 8.000,-- €“ zu erstatten, wovon 6.000,-- € auf den Unterlassungsanspruch entfielen. Die Abmahnkosten habe er am 27. Oktober 2014 gegenüber seinen Prozessbevollmächtigten ausgeglichen.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, die in Anlage K 1 abgebildete Fotografie (...) oder Teile hieraus öffentlich zugänglich zu machen oder öffentlich zugänglich machen zu lassen, ohne aufgrund eines Nutzungs- oder Lizenzrechts hierzu berechtigt zu sein und ohne hierbei den Kläger namentlich als Urheber anzugeben, wenn dies geschieht wie in Anlage K 3, dort Seite 2 abgebildet geschieht;
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn insgesamt 1.950,60 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Mai 2013 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, wegen der nach der letzten Abmahnung bis zur Klageerhebung verstrichenen Zeit von über siebzehn Monaten sei schon keine Wiederholungsgefahr mehr gegeben, zumal sie das Foto unmittelbar nach der Abmahnung von der Homepage gelöscht habe. Sie habe das streitgegenständliche Foto in der von ihr verwendeten Gestaltung und Form aus einer Google-Bilddatei entnommen. Durch die Veränderungen sei aber ein neues selbständiges Werk entstanden. Es liege insoweit eine „freie Bearbeitung“ vor. Sie stellt die Angemessenheit und Üblichkeit der vom Kläger nach der MFM-Tabelle berechneten Lizenzgebühr in Abrede. Sie bestreitet, dass der Kläger die Abmahnkosten an seine anwaltlichen Vertreter gezahlt habe.
Wegen des Vortrags der Parteien im Einzelnen wird auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist überwiegend begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte zunächst den geltend gemachten Unterlassungsanspruch gemäß §§ 97 Abs. 1, 72, 19a, 13 UrhG.
Das streitgegenständliche Foto genießt gemäß § 72 UrhG als Lichtbild urheberrechtlichen Leistungsschutz. Die Urheberschaft des Klägers an dem Ursprungsbild ist unstreitig. Der Lichtbildschutz erstreckt sich auch auf die bearbeitete Fassung des Fotos, wie es die Beklagte tatsächlich verwendet hat. Insbesondere liegt darin keine freie Benutzung im Sinne des § 24 UrhG.
Anders als beim Urheberrecht stellt sich beim Leistungsschutzrecht des Lichtbildners gemäß § 72 UrhG nämlich nicht die Frage, ob der jeweilige Ausschnitt schutzfähig ist bzw. das Ursprungswerk hinter der Bearbeitung verblasst. Denn hier geht es nicht um den Schutz einer kreativen, sondern einer investiven technischen Leistung, die bereits dann berührt ist, wenn es um die Übernahme und Verarbeitung einzelner „Pixel“ geht und zwar unabhängig von ihrer Quantität und Qualität. Deshalb gebietet es der Schutzgrund des § 72 UrhG, von einer entsprechenden Anwendung urheberrechtlicher Grundsätze auf Lichtbildteile abzusehen und das Lichtbild auch dann dem ausschließlichen Vervielfältigungsrecht zu unterstellen, wenn der fragliche Ausschnitt des Lichtbildes deutlich weniger als einen substantiellen Teil ausmacht (Schricker, UrhR, 4. Aufl., § 72, Rn. 29).
Entsprechend sind dem Lichtbildner aber auch Nutzungen des Lichtbildes in kolorierter oder (digitaltechnisch) retuschierter Form sowie – im Hinblick auf den Schutz von Lichtbildteilen – die Verwendung seines Lichtbildes im Rahmen einer Fotokollage (Schricker a.a.O. Rn. 30).
Die Beklagte hat unstreitig keine Nutzungsrechte des Klägers eingeholt und diesen auch nicht nach Maßgabe von §§ 72 Abs. 2, 13 UrhG als Urheber genannt.
Die durch die Rechtsverletzung begründete Wiederholungsgefahr ist schließlich nicht – insbesondere durch Zeitablauf – entfallen. Grundsätzlich erforderlich gewesen wäre dafür eine strafbewehrte Unterlassungserklärung der Beklagten (Schricker a.a.O. § 97, Rdn. 123), die diese aber verweigert hat. Insbesondere kommt ein Wegfall der Widerholungsgefahr allein durch Zeitablauf nicht in Betracht. Die zwischen der Abmahnung und Klageerhebung verstrichen Zeit könnte allenfalls unter dem Gesichtspunkt der „Verwirkung“ eines Unterlassungsanspruchs relevant sein. Die Voraussetzungen einer Verwirkung sind vorliegend aber nicht erfüllt. So konnte die Beklagte angesichts der anwaltlichen Abmahnung nicht darauf vertrauen, dass der Kläger die Angelegenheit auf sich beruhen lassen würde. Die Beklagte hat selbst keine Umstände vorgetragen, aufgrund derer sie davon hätte ausgehen können. Der Zeitablauf allein genügt für die Annahme einer Verwirkung nicht.
Der Kläger hat gegen die Beklagte ferner Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 97 Abs. 2 UrhG, den er hier nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie berechnet hat.
Dieser Anspruch besteht allerdings nur in Höhe von insgesamt 200,-- €, und zwar je 100,-- € als Lizenzgebühr und ein Zuschlag in Höhe von 100 % darauf wegen fehlender Urheberbenennung.
Denn der Kläger hat schon selbst nicht schlüssig dargelegt, das ihm durch die rechtswidrige Nutzung seines Fotos nach Maßgabe von §§ 97 Abs. 2 S. 1 und 3 UrhG, 287 ZPO ein Schaden entstanden ist, der über einen – vom Gericht gemäß § 287 ZPO geschätzten – Mindestschaden von 100,-- € hinausgeht.
Der Kläger hat selbst eingeräumt hinsichtlich des streitgegenständlichen Fotos über keine eigene Lizenzierungspraxis zu verfügen, die insbesondere Erträge, wie nach den MFM–Empfehlungen errechnet, rechtfertigen würde. Nach neuerer Rechtsprechung der Kammer können die MFM-Empfehlungen in solchen Fällen schon im Ansatz nicht mehr zur Bestimmung der „angemessenen” Lizenzgebühr zugrunde gelegt werden (vgl. Urteil der Kammer vom 16. Juni 2015; 16 O 140/14).
Fehlen – wie im vorliegenden Fall – darüber hinaus gehende Anhaltspunkte für die Bestimmung der im Einzelfall angemessenen Lizenzgebühr, so kann die Kammer nach Maßgabe von § 287 ZPO lediglich einen (absoluten) Mindestschaden in Höhe von frei geschätzten 100,-- € zusprechen, der vorliegend wegen unterbliebener Urheberbenennung gemäß § 13 UrhG noch um 100 % zu erhöhen war.
Im Übrigen fehlt aber jegliche Grundlagen für eine Schätzung des dem Kläger etwa weiter entstandenen Schadens, zumal der Schadensersatz gemäß § 97 Abs. 2 UrhG den Kläger auch nicht besser stellen soll, als er ohne die Rechtsverletzung gestanden hätte. Der Kläger geht schließlich fehl in der Annahme, dass die MFM-Empfehlungen gerade für Fälle angewendet würden, in denen eine Lizenzierungspraxis tatsächlich nicht bestünde. Vielmehr ist es umgekehrt so, dass die MFM–Empfehlungen ihrem eigenen Anspruch nach eine marktgerechte - und nur insoweit „angemessene” - Lizenzierungspraxis der tatsächlich am Markt tätigen Fotografen abbilden soll.
Wie oben dargelegt hat die Kammer aber Zweifel, dass die Honorarempfehlungen die Marktverhältnisse realistisch abbilden. Jedenfalls müssten in Bezug auf den Kläger gewisse Anhaltspunkt – wie eine Lizenzierungspraxis dieses oder vergleichbarer Fotografien zumindest in ähnlicher Größenordnung – vorliegen, die dann möglicherweise auch eine weitergehende Anlehnung an die Detailregelungen der MFM-Empfehlungen rechtfertigen würden. Umgekehrt kann die MFM–Tabelle nach Auffassung des Gerichts jedenfalls keine Tarife schaffen, die als solche am freien Markt keine Entsprechung finden.
Der Kläger hat gegen die Beklagte schließlich Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten gemäß § 97a UrhG.
Aus dem vorstehenden ergibt sich, dass die Abmahnung des Klägers grundsätzlich berechtigt war. Allerdings dafür nach zutreffender Berechnung des geschuldeten Schadensersatzes in Höhe von 200,-- € lediglich ein Gegenstandswert von insgesamt „bis 7.000,-- €“ zugrunde zu legen.
Eine 1,3 Geschäftsgebühr nach diesem Gegenstandswert ergibt die erstattungsfähigen Kosten in Höhe von 507,50 € netto. Im Übrigen war die Klage insoweit abzuweisen. Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger möglicherweise die entsprechende Gebührenforderung seines anwaltlichen Vertreters selbst noch nicht beglichen haben mag. Das kann offen bleiben. Denn jedenfalls durch ernsthafte und endgültige Zahlungsverweigerung der Beklagten - die spätestens mit dem Antrag auf Klageabweisung vorliegt - hat sich der ursprünglich bestehende Anspruch des Klägers auf Freistellung von der Gebührenforderung seines anwaltlichen Vertreters in einen Zahlungsanspruch umgewandelt.
Der Zinsanspruch als Nebenforderung beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 709 S. 1 ZPO.