Vermittlung von Sportwetten

Bundesverfassungsgericht

Beschluss v. 02.08.2006 - Az.: 1 BvR 2677/04

Leitsatz

1. Auch das staatliche Sportwetten-Monopol in Nordrhein-Westfalen ist verfassungswidrig.

2. Ein staatliches Monopol für Sportwetten ist mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn es konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist. Es gelten die Ausführungen des BVerfG-Urteils vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01.

Tenor

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde (...)

gegen

a) den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. November 2004 - 4 B 1455/04 -,

b) den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 2. Juli 2004 - 1 L 1189/04 -,

c) die Vollziehbarkeit in der Ordnungsverfügung der Stadt Moers vom 6. April 2004 - 32/2 - 32 33 11 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch (...) gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 2. August 2006 einstimmig beschlossen:

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

2. Damit wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehung einer Verfügung, mit der ihr der Betrieb einer Annahmestelle zur Vermittlung von Sportwetten untersagt wird.

1.

Die Beschwerdeführerin ist eine gewerbliche Vermittlerin von Sportwetten mit festen Gewinnquoten. Sie vermittelt in ihren Geschäftslokalen insbesondere Wetten der Sportwetten GmbH in Gera, die aufgrund einer nach dem Gewerbegesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. März 1990 (GBl S. 138) erteilten Erlaubnis gewerbliche Sportwetten anbietet.

Mit Ordnungsverfügung vom 6. April 2004 untersagte der Bürgermeister der Stadt Moers der Beschwerdeführerin diese Geschäftstätigkeit für das in Moers befindliche Geschäftslokal, da es sich dabei um unerlaubtes Glücksspiel handelte; ferner ordnete die Behörde die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung an.

Den von der Beschwerdeführerin dagegen gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht ab. Das Oberverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde zurück. Die Erfolgsaussicht des von der Beschwerdeführerin eingelegten Hauptsacherechtsbehelfs könne allenfalls als offen beurteilt werden. Die danach zu treffende Abwägung ergebe ein vorrangiges öffentliches Vollzugsinteresse. Die von der Beschwerdeführerin vermittelten Sportwetten seien in Nordrhein-Westfalen nicht - auch nicht aufgrund der Erlaubnis der Sportwetten GmbH in Gera - erlaubt.

Die Beschwerdeführerin stelle ihr Geschäftslokal daher für unerlaubtes öffentliches Glücksspiel im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB zur Verfügung; jedenfalls leiste sie Beihilfe zur Beteiligung der Wettkunden an unerlaubtem Glücksspiel im Sinne von § 285 StGB. Ob und inwieweit die Monopolisierung erlaubten Sportwettens bei einem staatlichen Anbieter (verfassungs)rechtlichen Bestand habe, bedürfe einer eingehenden Prüfung im Hauptsacheverfahren. Es sei bei summarischer Prüfung nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Veranstaltung von Sportwetten in staatlicher Monopolregie nicht wirklich geeignet sei, die mit dem Glücksspiel einhergehenden Gefahren einzudämmen. Dies gelte auch im Hinblick auf die vielfältigen Werbemaßnahmen. Angesichts der zahlreichen konkurrierenden Angebote gewerblicher Veranstalter könne die Beherrschung des Gefahrpotenzials nur dann effektiv gelingen, wenn für das staatliche Wettangebot geworben werde. Angesichts einer reizstarken Werbewelt und eines Attraktivitätsgefälles zwischen gewerblichen und staatlichen Angeboten seien auch allzu moderate Werbemaßnahmen nicht geeignet, das von staatlichen Veranstaltern anzusprechende Publikum zu erreichen. Wegen der mit dem Glücksspiel einhergehenden Gefahren überwiege das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung.

2.

Gegen die fachgerichtlichen Eilbeschlüsse und die Vollziehbarkeit der behördlichen Ordnungsverfügung hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Insbesondere der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts stelle eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 19 Abs. 4, Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG dar. Das Oberverwaltungsgericht verkenne die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Es blieben die schweren und unzumutbaren Nachteile außer Acht, die für die Beschwerdeführerin aus der existenzvernichtenden Wirkung der sofort vollziehbaren Untersagung folgten. Auch ermangele es einer konkreten Gefahrenlage, zu deren Abwehr der Eingriff allein gerechtfertig sein könne. Angesicht der schwierigen und zum Teil ungeklärten einfachrechtlichen Fragen werde auch nur dies der besonderen Bedeutung der Berufsfreiheit gerecht.

3.

a) Mit Schreiben vom 11. Januar 2005 sagte die Behörde gegenüber der Beschwerdeführerin zu, die Ordnungsverfügung bis zur Klärung der Rechtslage im Vergleichsverfahren 1 BvR 1054/01 nicht zu vollziehen.

b) Im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - forderte die Behörde die Beschwerdeführerin auf, die Vermittlung von Sportwetten nunmehr endgültig einzustellen. Andernfalls würde die Ordnungsverfügung vollzogen.

Den daraufhin von der Beschwerdeführerin gestellten Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 22. Mai 2006 ab. Die Vollziehungsanordnung habe in der Sache Bestand. Die vorzunehmende Interessenabwägung gehe erneut zum Nachteil des Beschwerdeführers aus. Die Ordnungsverfügung vom 6. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides stelle sich auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 nicht als offensichtlich rechtswidrig dar.

II.

Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie nach dem zwischenzeitlich erreichten Verfahrensstand unzulässig ist.

1.

Soweit sich die Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde gegen die im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren ergangenen Beschlüsse wendet, besteht für verfassungsgerichtliche Feststellungen kein Rechtsschutzinteresse mehr.

a) Die im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren angegriffenen Eilbeschlüsse sind durch den im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zwischenzeitlich ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 22. Mai 2006 prozessual überholt. Gegenüber den zunächst ergangenen Eilbeschlüssen stellt dieser eine eigenständige und erneute Entscheidung darüber dar, ob die frühere gerichtliche Bestätigung der behördlichen Vollziehungsanordnung weiterhin Bestand hat, und bildet verfassungsprozessual einen neuen Beschwerdegegenstand. Für eine verfassungsgerichtliche Überprüfung und gegebenenfalls Aufhebung der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen fachgerichtlichen Eilentscheidungen sowie eine Zurückverweisung der Sache an die Gerichte besteht daher grundsätzlich kein Bedürfnis mehr.

b) Ein Rechtsschutzinteresse besteht auch nicht deshalb fort, weil anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe oder die Beschwerdeführerin mit einem schweren Nachteil belastet wäre (vgl. BVerfGE 33, 247 257 f.>; 99, 129 138>; stRspr).

aa) Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da sie keine Fragen aufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lassen oder die noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind (vgl. BVerfGE 90, 22 24 f.>).

Dies gilt neben den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an einen effektiven und willkürfreien Rechtsschutz zu stellen sind, vor allem auch hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit von Beschränkungen der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten mit Art. 12 Abs. 1 GG.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - (NJW 2006, S. 1261 ff.) grundsätzlich geklärt, welche Anforderungen das Grundrecht der Berufsfreiheit an die Errichtung eines staatlichen Sportwettmonopols stellt und inwieweit die damit einhergehenden Beschränkungen gerechtfertigt sein können. Die dortigen verfassungsrechtlichen Aussagen treffen dabei gleichermaßen auf die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen zu.

Entgegen der vom Oberverwaltungsgericht - vorläufig - zugrunde gelegten Einschätzung ist danach die derzeitige Ausgestaltung des staatlichen Sportwettmonopols in Nordrhein-Westfalen als mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar anzusehen.

Auch im nordrhein-westfälischen Sportwettengesetz vom 3. Mai 1955 (GV NRW S. 84) fehlt es sowohl in der zum Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsverfügung geltenden, als auch in der aktuellen Fassung durch das Gesetz vom 18. Mai 2004 (GV NRW S. 284) an Regelungen, die eine konsequente und aktive Ausrichtung des in Nordrhein-Westfalen zulässigen Sportwettangebots am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht materiell und strukturell gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006, a.a.O., S. 1264 ff.).

Ebenso wenig wird dieses Regelungsdefizit durch den von sämtlichen Ländern ratifizierten Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland (vgl. GV NRW 2004, S. 315) ausgeglichen, von dessen unmittelbarer Geltung angesichts der Regelungen im nordrhein-westfälischen Gesetz zur Ausführung des Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland (Lotterieausführungsgesetz - LoAG) vom 16. November 2004 (GV NRW S. 686) auszugehen ist.

Daher ist grundsätzlich auch das Land Nordrhein-Westfalen verfassungsrechtlich gehalten, den Bereich der Sportwetten nach Maßgabe der Gründe des Urteils vom 28. März 2006 neu zu regeln und einen verfassungsmäßigen Zustand entweder durch eine konsequent am Ziel der Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtete Ausgestaltung des Sportwettmonopols oder eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Sportwettangebote durch private Wettunternehmen herzustellen (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006, a.a.O., S. 1267).

bb) Der Beschwerdeführerin sind durch die im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren angegriffenen fachgerichtlichen Eilentscheidungen keine gewichtigen Nachteile entstanden, da die Behörde ihre Geschäftstätigkeit trotz der sofort vollziehbaren Untersagung während des hier maßgeblichen Zeitraums bis zur erneuten Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO geduldet und von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen hat.

2.

Soweit die Beschwerdeführerin die Verletzung von Grundrechten durch die Vollziehbarkeit der behördlichen Ordnungsverfügung rügt, entspricht die Verfassungsbeschwerde nicht (mehr) dem Grundsatz der Subsidiarität, da es an einer Erschöpfung des im Abänderungsverfahren erneut eröffneten fachgerichtlichen Rechtswegs fehlt.

Soweit die Behörde unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 das Verbot der Vermittlung und die sofortige Vollziehung der gegenüber dem Beschwerdeführer ergangenen Untersagungsverfügung aufrecht erhält, kann die Beschwerdeführerin im - bereits laufenden - Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO sowohl die Kontrolle der Einhaltung der dies rechtfertigenden verfassungsgerichtlichen Vorgaben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juli 2006 - 1 BvR 138/05 -), als auch - sofern es für das Oberverwaltungsgericht entscheidungserheblich ist - eine Klärung der Frage erreichen, welche rechtlichen Wirkungen der aufgrund des Gewerbegesetzes der Deutschen Demokratischen Republik erteilten Erlaubnis zukommt, auf deren Grundlage die von der Beschwerdeführerin vermittelten gewerblichen Sportwetten angeboten werden.

3.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

III.

Mit dieser Entscheidung erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).