AG Erfurt: Keine Sittenwidrigkeit, wenn Ware im Offline-Handel 100% teurer als im Online-Handel

Das AG Erfurt hatte zu beurteilen, ob ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt, wenn im stationären Handel für ein Produkt (hier: Perücke) ein um 100 % höherer Kaufpreis als online (AG Erfurt, Urt. v. 17.08.2022 - Az.: 5 C 522/21).

Die Klägerin verlangte die Rückzahlung eines Kaufpreises, die sie für eine Echthaarperücke bezahlt hatte.

Sie ließ sich offline im Ladengeschäft der Beklagten beraten und erwarb dort ein Produkt iHv. rund 4.000,- EUR. Wenig später informierte sie sich online und fand dort Preise zwischen 1.200,- EUR und 2.000,- EUR.

Die vertrat den Standpunkt, dass die Beklagte ihre medizinische Zwangslage ausgenutzt und einen überteuerten Betrag genutzt habe. Das Geschäft sei daher sittenwidrig.

Das AG Erfurt folgte dieser Ansicht jedoch nicht und wies die Klage ab.

Es liege zwar ein deutlicher Unterschied zwischen den Preisen offline und online vor, diese jedoch den tatsächlichen Umständen geschuldet. Denn bei dieser Wart der Ware sei der Internethandel eher ein Sondermarkt:

"Insoweit hat das Gericht (...) erhebliche und durchgreifende Bedenken, dass allein die von der Klägerin eingeholten sechs (...) Angebote Grundlage für einen solchen Marktvergleich sein können.

Es muss bereits bei grundsätzlicher bzw. generalisierender Betrachtungsweise nämlich deutlich zwischen Online-Handel einerseits und stationärem Handel andererseits im Hinblick auf die Geschäftsmodelle und die dadurch kalkulierbaren bzw. erzielbaren Preise unterschieden werden.

Dabei ist unbedingt zu beachten, dass der stationäre Handel mit den Internetpreisen kalkulatorisch schon deswegen nicht mithalten kann, weil für den Betrieb eines Ladengeschäfts deutlich höhere Fixkosten zugrunde zu legen sind, damit überhaupt der nötige Umsatz und Gewinn erzielt werden kann. Dies betrifft die regelmäßig erheblich höheren Fixkosten, insbesondere für Ladenmiete, Personal und Energie.

Zwar müssen Online-Händler solche Kosten vom Grundsatz her ebenfalls tragen, es bleibt aber darauf hinzuweisen, dass bereits der laufende finanzielle Aufwand für die jeweils angemieteten Räumlichkeiten bei Letzteren deutlich geringer ausfällt. Zum einen entfällt beim reinen Internethandel die zusätzlich in erheblichem Umfang erforderliche Verkaufsfläche („Showroom“); darüber hinaus ist eine – wie hier auch beim Ladenlokal der Beklagten – attraktive Innenstadtlage mit hohem Passantenverkehr für auskömmliche Erzielung von Umsatz und Gewinn zwingende Voraussetzung.

Im Gegensatz dazu beläuft sich der Mietzins für die allein erforderliche Anmietung von Lagerräumen in Gewerbegebieten oder „1b-Lagen“ (und darunter) allgemein bekannt auf einen Bruchteil desjenigen, welcher für die Anmietung einer Ladenfläche in Innenstadt- und Einkaufslage (z. B. Fußgängerzone, Altstadt) anfällt."

Und weiter:

"Unter Heranziehung des gerade im Anwendungsbereich von § 138 BGB einzubeziehenden Gedankens der Privatautonomie ist es dem Kunden unbenommen, das Beratungs- und Kauferlebnis vor Ort mit allen Annehmlichkeiten wahrzunehmen oder die Ware online durch bloßes Anklicken kostengünstiger, aber mit den bekannterweise damit einhergehenden objektiven und subjektiven Risiken zu bestellen.

Hierbei muss dem mit durchschnittlichen Kenntnissen ausgestatteten Kunden zwangsläufig bewusst sein, dass sich aufgrund der o. g. Umstände im stationären Handel regelmäßig ein nicht zu vernachlässigender preislicher Aufschlag ergibt. Der Internethandel stellt demgemäß zusammengefasst einen Sondermarkt dar, welcher nicht o.w. mit dem allgemeinen regionalen Markt vergleichbar ist (s. auch BGH MDR 2010, S. 622)."